Ein ehemaliger Schuhhändler baut eines der ältesten Industriedenkmale in Baden-Württemberg zu einer Seniorenresidenz um.

Region: Corinna Meinke (com)

Kuchen - In vollem Gange sind die Umbauarbeiten am historischen Spinnereigebäude der ehemaligen Bauwollspinnerei in Kuchen. Der Lindauer Unternehmen I+R Dietrich Wohnbau baut es im Auftrag des Investors Helmut Mayer zu einer Seniorenresidenz mit 60 Pflegezimmern und 19Penthaus-Wohnungen um. Der frühere Schuhhändler Mayer soll dazu eigens die Pflegepark Gesellschaft gegründet haben. Das denkmalgeschützte Gebäude der Baumwollspinnerei, das 1861 bezogen wurde, zählt laut dem Landesamt für Denkmalpflege zu den bedeutendsten Industrieanlagen in der Region.

 

Einzelzimmer, WGs und Penthäuser

Mitten im Innenausbau befindet sich das ehrgeizige Projekt, das bis zum Frühjahr fertig sein soll. Die rund 60 Einzelzimmer würden bereits nach dem neuesten Standard der Landesheimbauverordnung eingerichtet, erklärt Dominik Büttner vom Kuchener Pflegedienst Mobile Hilfen, der zwei Seniorenwohngemeinschaften im Erdgeschoss des Wohnparks betreuen wird. Demnach sollen künftig im Pflegebereich ausschließlich Einzelzimmer eingerichtet werden.

Für den Betrieb der dazugehörenden vier Pflegegruppen in den Obergeschossen ist im vergangenen Jahr bereits die Gesellschaft Seniorenresidenz am SBI Park gegründet worden, die von Büttner und Andreas Dürr geführt wird. Das Unternehmen werde auch das hauseigene Café betreiben, erklärt Büttner, und darüber hinaus soll es einen Friseur und eine Logopädiepraxis in der Anlage geben. Die Suche nach einem Arzt, der eine Praxis im Wohnpark betreibe, sei noch nicht abgeschlossen.

Das komplette Ensemble ist etwas Besonderes

Denkmalpflegerisch betrachtet ergibt sich der besondere Wert der Anlage aus seinem Alter und dem Umfang des Ensembles, zu dem das Spinnereigebäude, eine Arbeitersiedlung, eine Villa, ein Park sowie eine Gas- und Dampfanlage und eine Schlosserei gehören, also eine komplett erhaltene alte Industrieanlage aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Dies sei in Württemberg sehr selten, sagt Simone Meyder vom Landesamt für Denkmalpflege. Von besonderer Qualität sei außerdem die Kuchener Arbeitersiedlung, die von ihrem Umfang her beispielsweise mit der Reutlinger Arbeitersiedlung Gmindersdorf verglichen werden könne.

Auch in Reutlingen habe ein Textilmagnat mit dem Bau einer Arbeitersiedlung ein sozialpolitisches Konzept verfolgt, zu dem, ähnlich wie in Kuchen, ein Kinderhort, ein kleiner Marktplatz und ein Gasthaus gehörten. Die Kuchener Planungen stammen von dem zu seiner Zeit bekannten Bahnanlagenarchitekten Georg von Morlok, während für Reutlingen der Stararchitekt des 19. Jahrhunderts, Theodor Fischer, die Pläne gezeichnet hat.

Eine der ältesten Industrieanlagen in der Region

Die Reutlinger Anlage wurde in den Jahren 1903 bis 1923 gebaut, dagegen datiert das Kuchener Pendant sogar schon aus der Zeit 1858 bis 1869 und ist damit nur wenige Jahre jünger als die Bahngleise auf der Geislinger Steige, die im Jahr 1850 eingeweiht wurden. Auch im Kreis Göppingen zählen die Kuchener Gebäude zu den ältesten Industrieanlagen überhaupt. So wurde Märklin in Göppingen 1859 gegründet, die WMF folgte 1880 in Geislingen, und im Jahr 1909 eröffnete die Kornwestheimer Firma Salamander in Göppingen-Faurndau eine stattliche Schuhfabrik.

Für die Denkmalschützer ist die Kuchener Baumwollspinnerei auch deshalb ein besonderes Ensemble, weil die unterschiedlichen Bauten die Lebensumstände aller Schichten der damaligen Gesellschaft, vom Arbeiter bis zum Firmendirektor, widerspiegeln. Und selbst der Park neben der Fabrikantenvilla ist zum Teil noch erhalten und inzwischen – anlässlich der Eröffnung der Route der Industriekultur im Filstal – neu belebt worden.

Ein repräsentativer, viergeschossiger Bau

Im Vergleich zu den Häusern der Arbeitersiedlung präsentiert sich das Spinnereigebäude nach den Worten von Meyder eher schlicht. Es werde allerdings trotzdem aus größerer Entfernung allein schon wegen seiner vier Geschosse als repräsentativer Bau wahrgenommen. Typisch für die axial gegliederte Fassade seien darüber hinaus die großen Fenster, die einst die großen Spinnsäle belichtet hätten, sowie die Putz- und die Werksteingliederung.

Manche alte Säule musste in Wänden versteckt werden

„Wir sind die fachlich beratende Stelle“, beschreibt Simone Meyder die Rolle des Landesamts für Denkmalpflege, das seit dem Beginn der Planungen für die Gebäudesanierung in die Überlegungen involviert gewesen sei, wie die geplante neue Nutzung als Seniorenwohnheim in dem historischen Spinnereigebäude verwirklicht werden könne. Während die Fassade habe erhalten bleiben können, habe man für das Innern des Gebäudes aber Kompromisse eingehen müssen, um die künftigen Wohneinheiten verwirklichen zu können. So habe manch der gusseisernen Stützen in Zwischenwänden verschwinden müssen. „Wir haben eine Lösung gefunden“, sagt Meyder und ergänzt, dass der Hallencharakter beispielsweise im Eingangsbereich aber erkennbar bleibe.