Der Kurznachrichtendienst ist bei globalen Großereignissen in aller Munde. Dennoch ist der Twitter-Chef Dick Costolo unter Druck: Mit Nur-Lesern und Laufkundschaft kann er nicht das Wachstum und die Erträge erzielen, die Investoren von ihm erwarten.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Das Jahr 2015 wird für Twitter, das erst vor 14 Monaten an die Börse gegangen ist, zum Jahr der Entscheidung. Firmenchef Dick Costolo hat zu Jahresbeginn mit Mühe eine Atempause gewonnen. Über Wochen hinweg stand er im Kreuzfeuer, weil Twitter trotz imposanter Nutzerzahlen nicht die Wachstumsstory schreibt, welche die Investoren erwarten. Der vier Jahre nach dem 2006 gegründeten Twitter gestartete Bilderdienst Instagram hat mit 300 Millionen Nutzern inzwischen knapp die Nase vorn. Die drei Jahre nach Twitter gegründete Nachrichten-App Whatsapp vermeldet sogar 700 Millionen Teilnehmer.

 

Auch das Nutzerwachstum bei den Fotoplattformen Tumblr und Pinterest war 2014 deutlich höher. Sie haben Twitter insgesamt beziehungsweise auf dem US-Markt überholt. Und Facebook wächst zwar langsamer als Twitter, hat aber mit mehr als 1,35 Milliarden aktiven Nutzern eine viel breitere Ausgangsbasis und inzwischen auch ein Rezept, wie man mit der immer wichtiger werdenden mobilen Werbung Geld verdienen kann.

Noch hält der Aufsichtsrat zum Twitter-Chef. „Habe großes Vertrauen in DickC und sein talentiertes Team“, schrieb in dieser Woche dessen Mitglied Peter Currie – natürlich als Tweet. Anfang des Jahres hat Twitter immerhin eine technische Innovation präsentiert. Mit der direkten Verlinkung von Videos will man Plattformen wie Youtube und dem inzwischen ebenfalls mit einer solchen Funktion ausgestatteten Facebook Konkurrenz machen. Vorerst ist das aber nur ein Testlauf für ausgewählte Nutzer. Kritiker wie den in den USA einflussreichen TV-Börsenkommentator Jim Cramer, auf die sich das Vorstandsmitglied Currie in seinem Tweet bezog, hat das fürs Erste zufriedengestellt. Er habe die Forderung nach Costolos Rücktritt erst einmal von seiner Liste der guten Vorsätze für das neuen Jahr gestrichen, sagte Cramer.

Die Wachstumsfantasie kommt abhanden

Mit dem Börsenwert sind große Anteilseigner unzufrieden, obwohl der Ausgabekurs von 26 Dollar vom November 2013 bisher nicht unterschritten wurde. Im Vergleich zu Anfang Januar 2014 ist Twitter um mehr als 40 Prozent eingebrochen. Dazwischen hat die Aktie eine Berg-und- Tal-Fahrt hingelegt. Das liegt weniger daran, dass Twitter, das in den ersten drei Quartalen 2014 ein unaufhaltsam wachsendes Minus von 452 Millionen Dollar (383 Millionen Euro) angehäuft hat, immer noch keine schwarzen Zahlen schreibt. Damit steht Twitter im digitalen Bereich nicht allein.

Aber zuletzt hat Twitter einen monatlichen Nutzerzuwachs von nur 13 Millionen gemeldet. Das ist in der von Wachstumsfantasien getriebenen Digitalbranche nicht genug. Und vor allem: viele dieser Nutzer twittern selbst nur wenig. „Twitter steht an einem kritischen Wendepunkt“, zitierte das „Wall Street Journal“ den Fondsmanager Walter Price, der für Allianz einen globalen Technologiefonds verwaltet: „Man braucht nicht nur Leser, sondern mehr Nutzer, die etwas schreiben. Wenn nicht bald etwas in dieser Richtung passiert, dann wird Twitter immer weniger relevant werden.“ Dazu passen Wall- Street-Gerüchte, dass der aggressive US-Investor Carl Icahn über einen Einstieg bei Twitter nachdenkt, um dem Management Beine zu machen. Icahn weiß, wie Twitter funktioniert: Er gilt als eifriger Twitterer unter den US-Spitzenmanagern.

Wie heikel das Thema Nutzerverhalten für Twitter ist, zeigt die Tatsache, dass das US-Unternehmen inzwischen unabhängigen Websites die detaillierte Auswertung der Nutzeraktivitäten verwehrt. Im Frühjahr 2014 war so publik geworden, dass nur jeder Zehnte, der bei Twitter registriert ist, regelmäßig eine Nachricht verfasst. Doch Leser reichen den Twitter-Anzeigenkunden nicht. Sie suchen nach aktiven Twitterern, weil deren Vorlieben besser zu erfassen sind und diese als Multiplikatoren dienen können.

Spektakuläre Ereignisse reichen nicht

Die massenhaften Tweets auf dem Kurznachrichtendienst nach dem Terroranschlag in Frankreich haben zwar wieder einmal gezeigt, dass Twitter bei spektakulären Ereignissen der Weltöffentlichkeit eine Plattform bietet, die schneller reagieren kann als jedes andere soziale Netzwerk. Zeitweise fluteten Twitter nach Angaben des Analysedienstes Topsy rund 15 000 Tweets je Sekunde. Aber kurzfristige Aufmerksamkeit ist etwas anderes als eine stabile Nutzerbasis.

Twitter sei ein Unternehmen, dessen kultureller Einfluss die unaufhörlich wachsenden finanziellen Verluste kaschiere, schreibt das „Wall Street Journal“: „Twitter ist vielleicht zu früh an die Börse gegangen – bevor es eine klar definierte Geschäftsstrategie hatte.“ Bisher hat sich Twitter bei seinen Vermarktungsbemühungen auf die Minderheit der aktiven Nutzer konzentriert. Ende 2014 hat der Firmenchef Costolo angekündigt, dass Twitter nun auch die Zaungäste des Dienstes besser erreichen wolle. Details blieb er bisher schuldig.