Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Kosky, der Musiker, ist im Übrigen stets im Einklang mit dem Dirigenten Philippe Jordan, der die Partitur, dynamisch angenehm verhalten, ins flüssige, gut verstehbare Parlando treibt, aber auch immer wieder Phrasen einfriert und sehr großzügig General- zu Denkpausen verlängert. Beide nehmen aus dem Comedy-Kessel im zweiten Akt teilweise die Luft. Über die Bühne – im Hintergrund noch Reste der Nürnberger Wand – ist regelrecht Gras gewachsen, und die Familienaufstellung aufgelöst. Jeder ist jetzt der, der er ist, wobei sich Kosky nur am Rande für die Liebesgeschichte und die hibbelige Eva (Anne Schwanewilms) interessiert. Klaus Florian Vogt als Stolzing ist vokal gestählt, aber auch nicht mehr ganz der silbrig Unbeschwerte von vor Jahren in der Rolle, ein netter Niemand mit einem Gassenhauer. Koskys flackernder, aber klarer Blick ruht auf den herausragenden Antagonisten Hans Sachs (Michael Volle) und Beckmesser.

 

Volle gelingt es, gleichzeitig Bonhommie wie immer wieder latente Boshaftigkeit zu verströmen. Er ist fast überpräsent im „Wahn“-Monolog und kraftvoll genug bis zum Schluss: Sachs im Quadrat. Kränzle krallt sich förmlich in die Karikatur, zu der Kosky ihn bewusst macht, als er Beckmesser am Ende des zweiten Aufzugs unters Pogromrad der Johannisnacht kommen lässt. Mit dem verzerrten Gesicht eines Schläfenlockenjuden bricht er zusammen, um sich trotzig weiterzuschleppen. Dem Untergang beim Wettsingen und dem endgültigen Verschwinden entgegen.

Wagner dirigiert Wagner

Koskys Perspektiven haben teilweise ihre Rezeptionsvorbilder (unter ihnen Katharina Wagners und Stefan Herheims „Parsifal“ vor Ort). Abgesehen jedoch von der Witzwutperfektion im Detail überhöht er die vorhandenen Ansichten in einem Schlussbild, das allerhand Fragen an die „Meistersinger“ dieser und vergangener Welten bündelt: Wie nämlich, will Kosky wissen, halten wir’s nun wirklich mit der „heil’gen deutschen Kunst“? Seine Schlussansprache jedenfalls hält Hans Sachs, der nun wieder Wagner ist, ohne Publikum.

Hier ist kein Volk mehr, weit und breit. Ersatzhalber kommt es zur feierlichen Abendkulturveranstaltung von heute. Chor und Orchester (pantomimisch agierend) werden hereingefahren. Und Richard Wagner dirigiert Richard Wagner, was nicht nur Richard Wagner offenbar sehr viel Freude macht. Sogenannte Hochkultur also, museal arrangiert, basierend auf etlichen niedersten Instinkten. Barrie Kosky, vorwiegend beklatscht, aber auch ausgebuht, hat im Verlauf des Stücks, das er trotz aller Nahaufnahmen auf Distanz hält, hocheinfallsreich seine inneren Zweifel angemeldet und teils insistierend Fragen gestellt. Kann man an der seltsamen Kultstätte Bayreuth mehr tun? Kaum.