Die FPÖ eröffnet das Rennen um die neue Regierung in der österreichischen Hauptstadt – und sichert sich zum Entsetzen mancher Beobachter mühelos Unterstützung aus dem bürgerlichen Lager.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Viktor-Adler-Platz, Wien-Favoriten. Hier beginnt Heinz-Christian Strache, der Spitzenkandidat der Wiener FPÖ, am Freitag seine Kampagne, die ihn Anfang Oktober ins Rathaus bringen soll, jedenfalls träumt er davon: von einer Wachablösung im ewig roten, seit der letzten Wahl rot-grünen Wien. Und natürlich ist die Wahl des Viktor-Adler-Platzes als Auftaktort kein Zufall. Gerade in den äußeren Bezirken, weniger in der Inneren Stadt, hofft die FPÖ auf so viele Stimmen, dass es am Ende, wie momentan prognostiziert, für sie zu weit über dreißig Prozent reicht. Damit wäre, mutmaßlich, die SPÖ geschlagen (wenn auch nicht unbedingt die Koalition abgelöst) – und Strache hätte sein eigentliches Ziel erreicht: er will die Destabilisierung in der Stadt, die dann aufs Land übergreift, und es ist ein Zeichen, dass man sich zuerst ausgerechnet an einem Ort trifft, der nach einem Sozialdemokraten heißt, welcher solche unsicheren Verhältnisse als Allerletztes wollte. Der um Integration radikaler Kräfte bemühte Adler, zuletzt Außenminister, starb 1918 einen Tag, bevor die Republik Österreich ausgerufen wurde.

 

Überhaupt trägt der FPÖ-Wahlkampf-Stil sehr entschiedene Züge. Er ist, wie stets, das Gegenteil von bang. Vielleicht höre er hier ja gerade die neue österreichische Bundeshymne, trompetete vor ein paar Tagen der Spitzenkandidat Strache, als er den Kampagnensong der FPÖ vorstellte – ein tendenziell eher weichgespültes Lied von Werner Otti, zu dessen Beginn im mitgelieferten Bild über eine Wiese eine junge, idealtypisch semmelblonde Bäuerin stapft, wie sie die FPÖ als Frauenideal allweil gerne sieht – mit einem anachronistischen Holzrechen über der Schulter. Dazu säuselt Otti: „So lang I leb und atmen kann, wird dieses Land meine Heimat, mein Zuhause sein. Immer wieder Österreich…“. Im Übrigen steht Otti „voll auf Wien, wo meine Wurzeln lieg’n.“

„Ursula, stress ned...“

Was das Neumitglied der FPÖ, Ursula Stenzel, angeht, liegen die Wiener Wurzeln im Augenblick ein wenig blank – und tatsächlich und obwohl in Österreich ein Parteienwechsel fast eine normale Sache ist, scheint ihr Austritt aus der ÖVP und die Kandidatur für die FPÖ eine abenteuerliche Geschichte. Auf besagter Hymnenvorstellungsfeier im Prater stand neben HC Strache, fahnenschwenkend und biertrinkend, auf einmal Frau Stenzel.

Ältere österreichische Bürger kennen sie zuvörderst aus dem ORF-Fernsehen. Stenzel, geboren 1945 in der Leopoldstadt, kurz nach dem Krieg, ist die Enkelin eines Rabbiners, den Freunde vor den Nazis versteckt halten konnten. Ursula Stenzel las die Nachrichten in der „Zeit im Bild“, Österreichs „Tagesthemen“. Mit Mitte Fünfzig schied sie dort aus und kandidierte für die ÖVP und fürs Europäische Parlament, wo sie bis 2005 aktiv sitzen blieb. Hernach sorgte sie in Wien als Bezirksvorsteherin für Ordnung in der Stadtmitte – und hätte gern ein noch strengeres Regiment geführt als es ihr möglich war. Weil sie entschieden wenig übrig hatte für Partymacher, die Dreck hinterlassen, widmete ihr die Szene eine hübsche Nummer: „Ursula, stress ned…“

Stenzel ist ein ungeheurer Gewinn für die FPÖ

Trotz partieller Kleinkariertheit: Ursula Stenzel war und ist der Prototyp einer zutiefst Bürgerlichen und stand für ein gewisses Maß an Toleranz. Dass sie jetzt für die FPÖ zentral in den Ring steigt, muss aufhorchen lassen. Natürlich ist verletzte Eitelkeit mit im Spiel, weil sie in der ÖVP nicht hoch gehandelt wurde, aber etwas Anderes scheint gravierender. Bisher schien Strache an einer Klientel nicht viel gelegen, die für Jörg Haider selbstverständlich Ansprechpartner war. Ihm fraßen auch Teile der Bourgeoisie aus der Hand. Strache hingegen hat zunächst von der SPÖ einen guten Teil der Arbeiter weggelotst. Jetzt aber wildert er zusätzlich auf ihm nicht ganz so gemäßem Terrain. Da Frank Stronach, der kanadische Milliardär, nicht mehr wählbar ist, kann es sein, dass Kaufleute, mittlere Unternehmer und Beamte sich nun etwas lieber der FPÖ zuwenden – wenn selbst Ursula Stenzel nichts dabei findet.

Der meist sehr nüchtern und genau beobachtende ORF-Analyst Peter Filzmaier glaubt nicht, dass Ursula Stenzel die FPÖ in Wien groß voranzubringen vermag, aber er könnte sich täuschen. Dass Strache Ursula Stenzel gewinnen konnte, ist ein ungeheurer Erfolg für den Mann, der sonst eher einer fürs Grobe ist. Pointiert gesagt, könnten sich viele am 11. Oktober bei der Wien-Wahl damit herausreden, Stenzel gewählt zu haben, weniger die FPÖ. Das wäre eine in Österreich und in tendenziell rechten Kreisen dort verbreitete Argumentationsstruktur, politische Dinge betreffend. Man nennt sie auch: Zynismus.