Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Sehen sich Print und öffentlich rechtliche Sender zu sehr unter dem Druck der sozialen Medien?
Ja. Ich kann da der üblichen Argumentation nicht folgen: Die sozialen Medien thematisieren es – dann müssen wir es auch machen. Das hat es so früher nicht gegeben – nach dem Motto: Die „Bild“ macht es, also müssen alle anderen folgen. Boulevardthemen wurden schon immer am stärksten frequentiert. Durch das Internet reichen sie überall hinein. Als verantwortungsvolles Medium muss man nicht alles wiederkäuen. Eher würde ich mir mehr Aufklärungsarbeit wünschen, um die Narrative zu entzaubern, die damit verbunden sind. Das wäre für mich klassisch aufklärerischer Journalismus.
Erreichen die klassischen Medien die Menschen noch in ausreichendem Maße mit ihren Argumenten?
Es wird zu wenig überlegt: Wen will man erreichen? Will man einen Diskurs, in dem die Mehrheit dieses Landes sich wiederfindet? Die AfD und ihre Wähler sollten nicht so sehr im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Rassisten argumentieren nicht, sie machen emotionale Aussagen. Oft wird in den Medien versucht, über rationale Argumente emotionale Aussagen aufzulösen – damit wird man immer scheitern.
Wird der Sorgfaltspflicht in der Berichterstattung Genüge getan?
In den von mir untersuchten Zeitungen ja. Zu lesen sind auch viele kluge Analysen. Es werden aber viele Fakten transportiert, die nicht von allen Mediennutzern aufgenommen werden. In der Rezeption kommen oft eher die Narrative an, wie dieses „Wir werden von Flüchtlingen überrollt“ – Fakten gehen dann unter. Da muss man das journalistische Verständnis weiterentwickeln.
Welche Rolle spielt der digitale Wandel der Medienwelt?
Ich habe selbst als Journalistin gearbeitet und sehe die Probleme im Alltag. Eine Pauschalkritik ist nicht angebracht. Es gibt aber eine größere Bereitschaft unter Journalisten, sich dem ökonomischen Druck zu beugen, was vielleicht verständlich ist. Sie haben zwar ihre Prinzipien und pflegen eine gute, seriöse Arbeit. Aber wenn eine Online-Redaktion immer wieder darauf hinweist, dass ein Thema viel geklickt wird, wird das Dilemma deutlich: Journalismus ist nicht nur eine ökonomische Angelegenheit, sondern auch eine öffentliche Aufgabe. Wenn wir das übersehen, schwächen wir unser im Prinzip gutes System in Deutschland, was ich wirklich für fatal halten würde.