In einem Workshop im Waiblinger Landratsamt machen sich Verwaltungsazubis Gedanken über den demografischen Wandel.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Waiblingen - Es ist das Jahr 2053. Die Band „Tokio Hotel“ hat unlängst ihr 50. Bühnenjubiläum gefeiert. Deren Sänger Bill Kaulitz wird 64 Jahre. „Auch Sie haben mittlerweile die 60er-Latte übersprungen. Sie wohnen in einem beschaulichen Ort irgendwo auf den Höhen des Schwäbisch-Fränkischen Waldes.“

 

Schon vor einigen Jahrzehnten sind dort die örtlichen Schulen zu Gunsten einer Gesamtschule im zwölf Kilometer entfernten Mittelzentrum geschlossen worden. „Als Großeltern haben Sie nun die Freude, Ihre Enkel an drei Tagen mit dem Privatauto zur Schule zu chauffieren – zumal das bis vor 20 Jahren existierende Busunternehmen wegen gescheiterter Nachfolge hat aufgeben müssen.“

Das Zukunftsszenario, das der Landrat Johannes Fuchs zeichnet, bezieht sich auf Lehrlinge aus seinem eigenen Hause sowie Azubis der Städte Fellbach und Schorndorf. Diese haben gestern an einem Workshop der Familienforschung Baden-Württemberg teilgenommen, einer beim Statistischen Landesamt angesiedelten sozialwissenschaftlichen Einrichtung. Das Thema, der demografische Wandel, tangiere alle Felder der öffentlichen Daseinsvorsorge, sagt der Verwaltungschef Fuchs. „Mir ist wichtig, dass schon unsere Auszubildenden sich Sensibilität und Handlungskompetenz im tief greifenden Wandel der Altersstruktur unserer Bevölkerung aneignen.“

Der Sozialministerin Katrin Altpeter ist es vor allem erst einmal ein Anliegen, die Generationen über das Thema ins Gespräch zu bringen. „Junge Menschen sollen sich stärker in die gesellschaftlichen Debatten über den demografischen Wandel einbringen“, appellierte sie an die Workshopteilnehmer. Die Zukunft des Gemeinwesens werde heute gestaltet. „Überlassen Sie die Diskussion darüber nicht alleine Ihren Eltern und Großeltern.“

Mit Referaten, einem Quiz, Gruppenarbeit und einem Planspiel haben sich die Auszubildenden gestern informiert und dem Familienforschungsinstitut nebenbei weitere Erkenntnisse gebracht, warum die Entwicklung ist, wie sie ist. Insbesondere die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Einkommenssituation spielt bei den jungen Erwachsenen offensichtlich eine Rolle, schon jetzt kritisch über die eigene Nachwuchsplanung nachzudenken. Eine Auszubildende im Waiblinger Jugendamt, die soziale Arbeit studiert, räumte unumwunden ein: „Ich würde gerne mehr Geld verdienen.“

Zurück ins Jahr 2053. „Auch Sie, liebe Azubis, werden dann bereits zur Generation der ,Best Agers’ gehören. Unser Kreis bekommt, bildlich gesprochen, Falten“, sagt der Landrat. Auch Bill Kaulitz wird davon nicht verschont bleiben. Jeder Einzelne tue gut daran, sich rechtzeitig mit dem Thema demografischer Wandel auseinanderzusetzen und die verschiedensten Handlungsfelder wie Vermögenssicherung, Altersvorsorge, Ausbildung oder Standortwahl rechtzeitig zu hinterfragen.

Sensibilisierung für den Wandel der Gesellschaft

Familienforschung:
Die beim Statistischen Landesamt angesiedelte sozialwissenschaftliche Forschungseinrichtung gibt es seit 1982. Ihr Haupttätigkeitsfeld ist neben der empirischen Analyse der Lebenssituation von Familien eine Politikberatung für eine nachhaltige Gesellschaftsentwicklung.

Workshop
: Zunächst gefördert durch die Robert-Bosch-Stiftung, jetzt unterstützt vom baden-württembergischen Sozialministerium, bietet die Familienforschung seit 2010 Veranstaltungen an, die junge Menschen über den demografischen Wandel informieren und für Zukunftsfragen sensibilisieren sollen.

Statistik
: Für den Rems-Murr-Kreis werden bis zum Jahr 2050 zwar kaum weniger Einwohner prognostiziert, diese aber werden im Schnitt viel älter sein als heute. Die Statistiker gehen von 50 Prozent weniger Unter-60-Jährigen aus, die Zahl der Über-85-Jährigen wird sich bis 2050 mehr als verdreifacht haben.