Den meisten Wald in der Region Stuttgart gibt es Rems-Murr-Kreis. Die wenigsten Bäume dagegen finden sich im Nachbarkreis Ludwigsburg.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Schuld ist die Eiszeit. Später hat dann der Mensch auch noch einen wesentlichen Beitrag geleistet. Mit diesen wenigen Worten lässt sich Martin Röhrs’ Antwort auf die Frage „Warum gibt es im Rems-Murr-Kreis so viel Wald?“ kurz und knapp zusammenfassen. Der Landkreis Ludwigsburg indes ist einer der waldärmsten Kreise im ganzen Land, die Begründung dafür ist dieselbe.

 

Röhrs ist Forstwissenschaftler und leitet beim Rems-Murr-Landratsamt den Geschäftsbereichs Forst. Er beschäftigt sich nicht nur beruflich mit dem Wald. Röhrs ist auch in seiner Freizeit oft im Forst unterwegs, wochenends bevorzugt irgendwo am Rande der Region Stuttgart, etwa bei Kaisersbach oder bei Welzheim. Und auch im Urlaub erkundet er gemeinsam mit seiner Frau Wälder in allen möglichen Ländern. Martin Röhrs kennt sich aus.

Während der Eiszeit, erklärt der Fachmann, sei die Vegetation hierzulande wegen der Kälte weitgehend verschwunden. Der Wind habe den guten Lößlehmboden von den Höhenlagen – etwa im Schwäbischen Wald – weggeblasen. Gelandet sei die Erde beispielsweise im Neckartal. Als die Eiszeit vorbei war, bildete sich in der heutigen Region Stuttgart – wie fast überall im Land – wieder Wald. Erst später kam der Mensch ins Spiel. In den ebenen Lagen, speziell an den Flüssen, ließen sich die Menschen nieder. Und die brauchten Platz, deshalb rodeten sie immer mehr Waldflächen. Der gute Boden war hervorragend geeignet, um Landwirtschaft zu betreiben. Der Mensch anno dazumal war Selbstversorger. Der Wald musste weichen.

Auf den Bergen – auch in den Höhenlagen des Schwäbischen Walds – sah die Sache indes anders aus. Auch dort ließen sich die Menschen nieder, allerdings weit weniger als im Flachland. Sie rodeten kleinere Parzellen, wo die heutigen Gemeinden entstanden. Es stellte sich aber bald heraus, dass der Boden kaum geeignet ist, um Landwirtschaft zu betreiben. Der Wind hatte den Lößlehm ja weggepustet. „Ein Auskommen für die Familien war kaum möglich“, erklärt Martin Röhrs.

Dennoch hat es viele Versuche gegeben, auch im Schwäbischen Wald Getreide anzubauen. Davon zeugen noch heute manche Namen von Waldparzellen: „Hetzelhof“ bei Spiegelberg-Nassach beispielsweise und „Viehtrieb“ bei Großerlach-Kuhnweiler. In der Nähe des heutigen Wanderheims Eschelhof bei Sulzbach standen einst mehrere Gehöfte. Alle sind längst wieder verschwunden. Der Wald hat sich sein Terrain zurückerobert. Vor rund 200 Jahren, sagt Röhrs, habe es auf der Gemarkung des heutigen Rems-Murr-Kreises fünf bis zehn Prozent weniger Wald gegeben – wegen der letztlich vergeblichen Versuche, Landwirtschaft zu betreiben.

Damals seien im Schwäbischen Wald vielerorts Kartoffeln, Weizen, Gerste, Hafer und Dinkel angebaut worden. Die allermeisten Landwirte hätten aber nach ein paar Jahren kapituliert. Der Boden war einfach zu schlecht, zudem machte die Topografie die Sache nicht einfacher. In den Klingen und auf den Steilhängen im Wald war es schlicht unmöglich, Getreide oder Gemüse anzupflanzen.

Kaum mehr Platz für Bäume

Und dann hat auch noch die industrielle Revolution zur ungleichen Verteilung der Waldflächen im Raum Stuttgart beigetragen. Im Neckartal, einst eine Idylle pur, wurde auf Teufel komm raus gerodet. Es entstanden urbane Zentren, für Bäume blieb kaum mehr Platz.

Der Rems-Murr-Kreis ist heute zu rund 39 Prozent bewaldet, der Landkreis Ludwigsburg lediglich zu rund 18 Prozent. 45 Prozent des Waldes im Rems-Murr-Kreis sind Staatswald (Ludwigsburg: elf Prozent), 21 Prozent sind Kommunalwald (72 Prozent) und 34 Prozent Privatwald (17 Prozent). Im waldreichen Rems-Murr-Kreis dominieren bei den Nadelbäumen die Fichte mit 31 Prozent und die Weißtanne mit neun Prozent, bei den Laubbäumen die Rotbuche (30 Prozent) und die Eiche (vier Prozent). Die Weißtanne ist eine Rems-Murr-Spezialität. Ihre neun Prozent sind ein weit überdurchschnittlicher Wert. Landesweit beträgt der Anteil der Weißtanne an der Waldfläche lediglich rund zwei Prozent.

In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten habe die Waldfläche im Rems-Murr-Kreis noch zugenommen, sagt Röhrs. „Manch ein kleines Tal, das eine Wiese war, ist wegen fehlender Pflege wieder zugewachsen.“ Der Wald, so der Amtsleiter, sei „die ursprünglichste Pflanzengesellschaft Europas“, die es zu schützen gelte.

Zugleich sei der Schwäbische Wald aber ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Allein das Landratsamt beschäftige rund 50 Waldarbeiter, ausgezahlt würden immerhin Löhne in Höhe von jährlich etwa 2,2 Millionen Euro. Durchschnittlich werden per annum rund 250 000 Festmeter Holz in den öffentlichen und den privaten Wäldern im Rems-Murr-Kreis geerntet – das entspreche bei einem Meterpreis von durchschnittlich rund 75 Euro einer Wertschöpfung von fast 20 Millionen Euro.

Der Wald im Kreis Ludwigsburg hingegen sei in erster Linie ein Erholungsgebiet für Jogger, Spaziergänger und Wanderer. Martin Röhrs bevorzugt freilich die Reviere im Raum Murrhardt/Welzheim für seine Waldtouren in der Freizeit, denn anders als in den Wäldchen im Nachbarlandkreis trifft man als Ausflügler dort oft stundenlang keine Menschenseele.