Schon auf der Balkanroute war es Richardsons Ansinnen, zu verstehen, wie sich das anfühlt, auf der Flucht zu sein. „Ich wollte reden, lernen, mit den Flüchtlingen sein.“ Und doch sind seine Annäherungen Teil seiner Profession. Er ist und bleibt Fotograf, einer, der sich mehr Zeit zum Begreifen der Situation nimmt als viele andere. Er weiß um sein Privileg: „Ich trete in die Welt des Flüchtlings ein und kann jederzeit wieder hinaus, der Flüchtling ist Flüchtling und muss in dieser Welt bleiben.“ Er hebt seine Hände, wie zur Abwehr.

 

Besonders von Haider, der in Kerbela Englische Literatur studiert hat, Musik von Mozart und Beethoven liebt, schwärmt Richardson. „Haider hört zu, denkt erst, spricht dann. Fällt niemanden ins Wort. Ist höflich. Aus seinem Mund kommen nur wohlformulierte Sätze.“ Er weiß aber auch um die traurigen Momente des jungen Mannes. Haider erzählt, wie verloren er sich in seiner neuen Welt fühlt. Er ist schon seit einigen Monaten in Deutschland. Viele Kontakte zu Einheimischen hat er nicht. Er ist froh, dass Richardson für einige Tage zu Besuch ist: „Er macht mir Mut, er sagt, du schaffst das.“

Manchmal nimmt Richardson seine Canon in die Hand und schaut sich die bereits gemachten Bilder an. Mit den Schwarz-Weiß-Fotos will er nah dran sein, berühren und das Schicksal seiner Freunde in Rottenburg dokumentieren. „In diesen Gesichtern wird alles lesbar: Schmerz, Hilflosigkeit, Perspektivlosigkeit, Verzweiflung, Leere, aber manchmal auch ein Lachen.“ Veröffentlichen will Richardson die vielen Fotos eigentlich erst, wenn seine Langzeitreportage abgeschlossen ist. Wann das sein wird? „Wenn jeder von den Jungs weiß, wo sein Platz im Leben ist“, antwortet Richardson. Er wird vermutlich noch oft zurückkehren, nach Rottenburg am Neckar.

Es ist Nachmittag, das Rathaus schließt. Haider lächelt das erste Mal: „Auf Wiedersehen“, sagt er freundlich. Richardsons Umarmung ist fest: „Für jeden von uns“, sagt er, „gilt, das Leben mit beiden Händen greifen, weil nichts für immer ist.“