Ein Schöffe hat sich gegenüber einem Anwalt zum Verfahren geäußert. Die Kammer hat ihn nun aufgrund der „begründeten Besorgnis der Befangenheit“ vom Verfahren ausgeschlossen. Es ist damit schon der zweite Fall eines Schöffen, der an dem Prozess nicht mitwirken darf.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Es gibt eigentlich niemanden in und um Stuttgart, der zum Thema Stuttgart 21 oder zum Polizeieinsatz gegen die Gegner des Großprojekts am 30. September 2010 im Schlossgarten keine Meinung hat. Auch Schöffen haben folglich privat ihre Ansichten. Einer der ehrenamtlichen Richter im Verfahren gegen zwei Polizeibeamte, denen fahrlässige Körperverletzung im Amt zur Last gelegt wird, hat nun aber einen Fehler gemacht, der in seiner Position offenbar unverzeihlich ist. Er hat seine Meinung gegenüber einem Verfahrensbeteiligten geäußert. Weil durch seine Aussagen eindeutig war, dass er eine klare Meinung hat über das Verhalten der Nebenkläger am Tag des Einsatzes und zur Schuldfrage der Angeklagten, schloss ihn die Vorsitzende Richterin Manuela Haußmann am Montag von dem Verfahren aus. Der Ersatzschöffe rückte nach. Die Richterin erklärte die Entscheidung mit der „begründeten Besorgnis der Befangenheit“, wie sie am Dienstag zu Beginn des siebten Verhandlungstages mitteilte.

 

Der Schöffe spricht den Nebenklägeranwalt an

Der Schöffe hatte am Ende des sechsten Verhandlungstags Frank-Ulrich Mann, Dietrich Wagners Rechtsanwalt, in der Tiefgarage der Landesbibliothek beim Kassenautomat angesprochen. „Ganz schön heiß heute“, habe er nur über das Wetter gesagt, schildert Mann. Der Schöffe habe dann sofort angefangen, über das Verfahren zu sprechen, das er als „zäh“ bezeichnet haben soll. Sinngemäß habe er dann gesagt, die von den Wasserwerfern Verletzten unter den Demonstranten seien selbst schuld, da sie sich im Park aufgehalten hätten. Diese Äußerung kam just am Ende des Verhandlungstages, an dem Dietrich Wagner über seine Verletzung und die schwerwiegenden Folgenden berichtet hatte. Der 70-Jährige sieht seither mit dem linken Auge nur noch in einem bestimmten Winkel einfallendes Licht, mit dem rechten kann er Buchstaben in Größe der Lettern auf Autokennzeichen aus einem Meter Entfernung lesen. Menschen erkenne er an der Statur und am Gang, sagt er.

Der Ersatzschöffe kommt zum Einsatz

Der nun abgesetzte Schöffe soll weiterhin gesagt haben, man könne für den aus dem Ruder gelaufenen Einsatz die Schuld nicht auf Einzelne abwälzen. Der Anwalt sagte, er habe die Äußerung auf die beiden Angeklagten bezogen. Zudem soll er gesagt haben, er habe kein Verständnis, dass Lehrer Schülern freigeben, um zu einer Demo zu gehen. Die Schülerdemo hatte in der Innenstadt begonnen und zog zum Schlossgarten, als der Einsatz begann. Weitere abfällige Bemerkungen soll er über Rentner gemacht haben, die zu Demos wie auf Kaffeefahrten gelockt würden.

Der Anwalt Frank-Ulrich Mann stellte am Montag einen Antrag, den Schöffen auszuschließen. Um 12 Uhr lag dieser dem Gericht vor, um 15 Uhr lud die Vorsitzende Richterin den ehrenamtlichen Kollegen vor, befragte ihn zusammen mit der Berichterstatterin und kam zu dem Schluss, dass er befangen sei. Es ist damit schon der zweite Fall eines Schöffen, der an dem Verfahren nicht mitwirken darf. In der Woche vor dem Auftakt des Prozesses wurde eine Schöffin ausgetauscht, die sich kritisch über die Polizei geäußert hatte. Sie hatte geschrieben, es seien „christliche und demokratische Werte mit Schlagstöcken erschlagen“ worden.

Nun darf kein weiterer Schöffe mehr ausfallen, da der einzige Ersatzschöffe nachgerückt ist. Die Kammer muss mit drei haupt- und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt sein. Die Schöffen werden jeweils für fünf Jahre verpflichtet. Sie erhalten eine Einführung in ihre Rechte und Pflichten. „Das ist eine mehrstündige Veranstaltung an einem Abend“, erläutert Florian Bollacher, Sprecher des Landgerichts.

Mit dem Ersatzschöffen hat die Kammer die Sitzung am Dienstag fortgesetzt. Wie vorgesehen berichtet ein 37-jähriger Musiker, der als Nebenkläger auftritt, von seiner Teilnahme an den Protesten am „schwarzen Donnerstag“ und den schweren Augenverletzungen, die er dabei erlitt.

Dem Opfer kommen bei seiner Aussage die Tränen

Der Mann verliert die Fassung, als er von dem Moment spricht, da der Wasserwerferstrahl sein rechtes Auge traf. Unter Tränen schildert er, wie er zunächst immer wieder Stöße abbekommen hatte, die ihn am Rücken trafen, wo sein Rucksack ihn schützte. Als er die Brille verlor und sich bückte, sei es geschehen. „Ich drehte mich beim Aufstehen um und schaute, ob noch ein Strahl kommt“, sagt er.

Da habe ihn der Strahl im Auge erwischt. „Es war ein schlimmer Schmerz, wie ein Eisenstab im Auge.“ Er habe nichts gesehen und gar nicht gewusst, was passiert ist. „Mein Auge, mein Auge“, habe er geschrien, und zunächst versucht, durch die Reihen der Polizei vom Platz zu kommen, sei aber nicht durchgedrungen. Schließlich habe er den Platz in Richtung Wiese verlassen und sei mit einem Taxi ins Krankenhaus gefahren. Er erlitt einen Netzhautriss und ein Pupillentrauma. Seit der Verletzung braucht er eine stärkere Brille, die Pupille habe sich nie ganz erholt.