Nein, es soll nicht um Politik gehen. Nicht um den Streit, ob ein Zug bis Renningen oder Weil der Stadt fährt. Mit festem Schuhwerk geht es über die alten Gleise der Schwarzwaldbahn – eine Wanderung über eine fast vergessene Zugstrecke.

Weil der Stadt - Nein, es soll nicht um Politik gehen. Nicht um den Streit, ob ein Zug bis Renningen oder Weil der Stadt fährt. Mit festem Schuhwerk geht es über die alten Gleise der Schwarzwaldbahn – auf dem nicht umstrittenen Abschnitt zwischen Weil der Stadt und Calw.

 

Weil der Stadt Diese kleine Wanderung beginnt am Bahnhof – mit einer Überraschung. Denn die Gleise der Schwarzwaldbahn werden hier noch genutzt und sind elektrifiziert. Nämlich zum Abstellen und Wenden. Drei rot glänzende Wagen der S-Bahn-Linie 6 stehen hier – und warten auf ihren Einsatz. Erst nach der Bahnbrücke über die Straße nach Merklingen beginnen die Gleise zu verwildern. Farn wächst, Moose wuchern, die Schwellen sind gesplittert und aufgeweicht.

Bis 1983 sind hier noch sechsmal am Tag Personenzüge gefahren, bis 1988 Güterwaggons. Dann wurde die Strecke endgültig aufgegeben – ein Erdrutsch bei Ostelsheim war der Anlass, dem Zugverkehr den Garaus zu machen. Und so hat sich die Natur zurückgeholt, was ihr vor 1872 die Schwarzwaldbahn geraubt hat. Von Meter zu Meter wird es buschiger, Brennnesseln überwuchern das Gleisbett. Ein alter Kilometerstein wittert vor sich hin. Jugendliche haben beim Feiern auf dem Bahndamm ein Bierfässchen deponiert.

Der Garten einiger Wohnhäuser an der Grabenstraße ist nur durch einen Holzzaun getrennt. Wohnen hier Kritiker der Reaktivierung, die 30 Jahre lang Ruhe hatten vor Bahnkrach? Es ist ein ungewöhnlicher Pfad mitten durch die Stadt, ein grüner Dschungel auf einem Bahndamm, dann eine Brücke über die viel befahrene Grabenstraße. Menschen winken, Autofahrer hupen, oben die verwitterten Gleise – eine irreale Szene. Plötzlich ein Prellbock mit einer verrosteten Signalanlage, danach enden die Schienen abrupt am Abgrund zur Straße.

Michael Stierle steht hier mit Turnschuhen. Würde der Abteilungsleiter im Calwer Landratsamt, der das Projekt „Hesse-Bahn“ dort plant und vorantreibt, noch einen Schritt weiter laufen, würde er auf die viel genutzte Südumfahrung stürzen. „Hier wurden die Schienen durchtrennt, damit Weil der Stadt eine Umgehungsstraße bauen darf“, erzählt Stierle.

Autos brausen mit 80 Sachen vorbei. Die Gleise sehen aus wie abgesägt, die Szene könnte aus einem Horrorfilm stammen. Auch die Stahlgleise sind leicht rostfarben, sehen aber ebenso stabil aus wie manche Holzschwellen und der Schotter im Gleis. Doch der Eindruck täuscht. Michael Stierle zeigt auf einen der riesigen Nägel, mit denen die Gleise festgemacht sind.

„Dort steht die Zahl 70“, schmunzelt er. Also 1970 wurden die Gleise erneuert. Viel zu lange her, um sie wieder zu verwenden. Deswegen wird wohl alles neu gebaut, wenn hier wieder ein Zug fahren sollte. Und warum der Prellbock auf einer Strecke, die nicht mehr befahrbar ist? „Formell wurde die Strecke nie stillgelegt“, sagt Michael Stierle. Nur nicht mehr genutzt.

Der vergessene Bahnhof von Schafhausen.

Schafhausen Vergessene Spuren. Wer die Schienen immer weiter entlangläuft, kommt bald Richtung Schafhausen. Der mächtige Hacksberg erhebt sich am Horizont. Um diesen 499 Meter hohen Giganten schlängeln sich die alten Gleise. Einen Kilometer außerhalb des Ortes liegt verwunschen das alte Bahnhofsgebäude, verwachsen und von außen teils verfallen. Es gehört einer Privatperson. Auch der alte Güterschuppen mit der Laderampe steht noch, Ziegen grasen in seinem Schatten.

Dieses Idyll wird so bleiben. Denn wenn die Hesse-Bahn gebaut wird, bleiben diese Gleise tot – stattdessen wird durch den neuen Hacksberg-Tunnel gefahren. So absurd es klingt: „Das ist wirtschaftlicher, als eine große Schleife zu drehen“, erzählt der Hesse-Bahn-Planer Michael Stierle. Denn der Umweg würde dazu führen, dass man eine zweite Stelle mit zwei parallelen Gleisen bauen müsste, damit sich die Züge begegnen können. Das ist bislang nur für Ostelsheim geplant. Daher bleibt Schafhausen auch nach 32 Jahren ohne Bahnanschluss, ebenso wie Grafenau. Diese Schienen dürfen weiter vermodern und vor sich hin rosten.

Ostelsheim Hier ist die erste Station der neuen Hesse-Bahn. Ein lauschiges Örtchen mit Bäcker, netten Häuschen und 2356 Einwohnern. Wobei diese hier nicht nur restlos begeistert sind. „Viele sagen, sie müssen für die Bahn zahlen, dabei wären sie in zehn Minuten mit dem Auto in Weil der Stadt“, erzählt Michael Stierle.

Besonders skurril ist hier die alte Station des „Haltepunktes Ostelsheim“, wie es im Bahndeutsch heißt. Sie zu finden, ist eine Herausforderung: Über einen grünen Hang läuft man auf die zerfallene Bahnsteigkante zu, auf die überwachsenen Gleise, geht einige Meter – und schon wieder ein Bild für einen Horrorfilm. Der schwarze Schriftzug „OSTELSHEIM“ auf weißem Grund ist braun angelaufen. Der Waschbeton der 70er Jahre grüßt. Das Unkraut wuchert, Graffiti zeugen von vielen Partys. Hier wurden schon Filmspots gedreht mit dem Slogan „Wir warten auf die Bahn“.

In diese Kategorie fällt auch eine Schranke hinter dem Ort. Sie steht an der Straße nach Althengstett und grüßt seit 30 Jahren stumm in der Landschaft die Autofahrer auf der Landesstraße, flankiert von einer Signalanlage gegenüber. „Hier wurde der Asphalt einfach über die Gleise gelegt“, sagt Michael Stierle. Irgendwo unter der Fahrbahn sind sie also noch. Dass die Anlagen noch stehen, ist ein kleines Wunder – meistens werden diese von Sammlern schnell abmontiert. Ein Radler düst vorbei. „Die Bahn hat Verspätung“, ruft er schmunzelnd. Ja, so etwa 32 Jahre.

Im Tunnel hinter Ostelsheim

Tunnel Ostelsheim Horrorfilm, Teil drei. Wildromantisch ist das Schienen-Tal hier bei Kilometer 37 seit Weil der Stadt, über gefühlt 1000 Stufen muss man in diese Schlucht hinabsteigen. Auch hier wieder: alte Gleise. Und ein großer Schlund, der sich auftut – der sogenannte Forsttunnel, 694 Meter lang. Aus Sandstein gebaut im Jahr 1868, wie ein Schild über dem Portal ausweist, dazu ein Pumphäuschen.

Wozu dieses dient, merkt man jenseits des Zauns in dem Tunnel. Überall plätschert Wasser. „Hier war im Zweiten Weltkrieg Produktion für die Luftwaffe“, erzählt Michael Stierle. Es wird dunkler und dunkler, die Schienen sind hier noch bestens erhalten. Das 150 Jahre alte Bauwerk kann mit kleinen Sanierungen weiterverwendet werden. Hier überwintern Fledermäuse, und im Sommer feiern Jugendliche Tunnelpartys. „Das kenne ich aus meiner Jugend“, sagt Michael Stierle schmunzelnd.

In der Mitte des Tunnels ist es stockfinster. Und manchmal meint man, wie in einem Gruselfilm einen Geisterzug anbrausen zu hören. Der Geist der alten Schwarzwaldbahn, ja, er lebt noch.