Stadträte und Verwaltungsmitarbeiter der Stadt Winnenden lesen in städtischen Wengert Rieslingtrauben. Sie erwarten einen sehr guten Tropfen, manche sogar einen Jahrhundertwein. Zu kaufen gibt es diesen Wein aber nicht.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Winnenden - Das schönste Stückchen Erde im ganzen Rems-Murr-Kreis“ – mit diesen Worten beschreibt Karl-Heinz Eckstein den Weinberg mit dem verheißungsvollen Namen Himmelreich. Hier oben, hoch über dem Teilort Hertmannsweiler, besitzt die Stadt Winnenden ein winzig kleines Stückchen Anbaufläche, knapp sieben Ar, mit Riesling, alten Rebstöcken, gepflanzt vor fast 40 Jahren. Wer im Himmelreich steht, der hat einen grandiosen Blick bis weit in das Remstal hinein.

 

Eckstein ist an diesem strahlend schönen Herbsttag, der sich fast wie Sommer anfühlt, als erster vor Ort. Der Nebenerwerbswengerter und Gärtner im (Un)Ruhestand hat alles vorbereitet für die Hobby-Lesemannschaft, für ein paar Damen und Herren Kommunalpolitiker sowie einige Mitarbeiter der Winnender Stadtverwaltung. Die Truppe will die rund 750 Kilogramm Trauben lesen und in die Kelter bringen – auf dass die Stadt auch künftig ihren eigenen Wein, den Mädleswein, aus- und verschenken kann. Zu kaufen gibt es diesen speziellen Tropfen nämlich nicht.

„Ein Backnanger Stadtrat lag unter dem Fässle“

Lange bevor die Lese beginnt, fährt der Winnender Alt-OB vor. Karl-Heinrich Lebherz steigt aus seinem Auto – und erzählt von anno dazumal. Von jenem Tag Mitte der 70er-Jahre, als ein paar Männer des Flurbereinigungsamts hier oben doch tatsächlich eine Ligusterhecke pflanzen wollten. „Stopp“, habe er gerufen. Und erklärt, dass am obersten Ende des Himmelreichs, direkt am Waldrand, besser Riesling gepflanzt werden solle.

Lebherz, mittlerweile 80 Lenze jung und immer noch fit wie der sprichwörtliche Turnschuh, erinnert sich gerne an den ersten Jahrgang. Die rund 75 Liter 1981er seien bei einem Treffen der Winnender und der Backnanger Stadträte vernichtet worden. Zu vorgerückter Stunde habe „einer der Backnanger unter dem Fässle gelegen“.

Lebherz sagt, seine Philosophie sei gewesene, jene Stadträte in eine Lesegruppe zu stecken, die sich nicht riechen konnten. Diese Taktik habe enorm zur Verbesserung des Klimas im Gremium beigetragen, was Hans Ilg bestätigen kann. Der aktive Winnender Stadtrat erzählt, dass es gar keine großen Zerwürfnise mehr gebe.

Ran an die Rebscheren

Dann ist aber genug geschwätzt: ran an die Rebscheren. Im Nu ist die Hälfte der Trauben gelesen. Lebherz, der Senior der Truppe, ist mit Feuereifer bei der Sache. Er lässt es sich nicht nehmen, alle paar Minuten eine volle Butte zu schultern und die Trauben in den Kübel zu kippen.

Pause. Angela Eberl vom Grundstücks- und Gebäudemanagement der Stadt und Karl-Heinz Eckstein kredenzen allen Helfern Wein und Brezeln. Dann wird wieder ein bisschen gefachsimpelt. „Das wird ein Jahrhundert-Jahrgang“, sagt einer. Doch der Profi Eckstein bleibt vorsichtig und sagt: „Der 2015er wird ein sehr guter Jahrgang“, alles andere werde sich zeigen, wenn der Wein in den Flaschen sei.

Früher, sagt Eckstein und guckt den Alt-OB feixend an, hätten die Männer pro Butte ein Viertel getrunken. Karl-Heinrich Lebherz hat bis dato schon fünf Butten geschleppt, er nippt aber erst am ersten Glas und belässt es auch dabei. Zur Mittagszeit sind alle Trauben gelesen und zum Abschluss des ungewöhnlichen Treffens im Wengert gibt es Maultaschen, Kartoffelsalat und Winnender Wein.

Ende April dürfte der junge Tropfen aus dem Himmelreich abgefüllt werden. Dann liegen die Flachen im Rathaus. Ausgeschenkt wird aber nur zu speziellen Anlässen: etwa während des Neujahrsempfangs.

Trollinger und Riesling

Mädleswein
Der Winnender Stadtwein hieß früher Ratstropfen. 2012 wurde der neue Name ein geführt, anlässlich der 800-Jahr-Feier der Stadt. Seither wird nämlich auch das Winnender Mädle gewählt, eine Art Botschafterin der Großen Kreisstadt.

Stadtwengert
Die Stadt besitzt im Himmelreich neben den knapp sieben Ar Rieslingrebfläche weitere rund fünf Ar Trollinger.

Qualität
Das Lesegut, das jetzt in die Kelter gebracht worden ist, sei hervorragend, sagt der Wengerter Karl-Heinz Eckstein. Das Mostgewicht betrage rund 100 Grad Oechsle.