Frühe Traubenlese, mediterrane Sorten, steigende Qualität und sogar Reben auf Sylt: der Klimawandel wirkt sich positiv auf die Weinproduktion in Deutschland aus. Aber er hat auch negative Folgen – neue Schädlinge etwa oder klimageschädigte Trauben.

Stuttgart - Für die meisten Heilbronner Weinbauern war die Lese schon Anfang Oktober zu Ende. Gerhard Hengerer, ein altgedienter Wengerter, kramt in seinem Gedächtnis: „Ich kann mich nicht erinnern, dass wir schon einmal früher fertig waren“, sagt er beim Ernten der letzten Trollingertrauben. Seine Frau Rita will es genau wissen und schaut zu Hause in ihren Aufzeichnungen nach. In den vergangenen 40 Jahren hat sie den jeweils ersten und letzten Lesetag des Familienbetriebs notiert. Tatsächlich muss sie lange suchen: Nur 1976 war „nach einem extrem heißen und trockenen Sommer“, wie es in den Annalen heißt, noch früher Schluss: am 4. Oktober, also drei Tage eher als in diesem Jahr. 2003 endete die Lese nach dem Jahrhundertsommer übrigens „erst“ am 11. Oktober.

 

Auch der Lesebeginn in diesem Jahr war am 11. September für die Hengerers extrem früh – nur 2007 ist ein genauso früher Termin verzeichnet. Andernorts begann man noch viel eher: Am 8. August 2014 seien die ersten Trauben des Jahres für den Federweißen im rheinhessischen Westhofen  gelesen worden, berichtet das in Mainz ansässige Deutsche Weininstitut. Nach der außergewöhnlich frühen Rebblüte, die bereits Ende Mai, Anfang Juni begonnen hatte, war allerdings ein solch zeitiger Erntebeginn zu erwarten. Und nach dem nassen August machten sich Fäulnis sowie die Kirschessigfliege breit – deshalb war auch in Baden-Württemberg eine frühe und schnelle Lese nötig, um die Verluste möglichst gering zu halten.

Weinblüte erfolgt immer früher

Private Beobachtungen wie auch die Aufzeichnungen von Forschungsinstituten belegen eindeutig, dass die Blüte – und damit auch in aller Regel die Ernte – immer früher erfolgt. Gleichzeitig dehnt sich der Weinbau nach Norden aus. So wurden in diesem Jahr zum zweiten Mal auf Sylt Trauben geerntet – von Stöcken der sehr frühen weißen Rebsorte Solaris, die 1975 in Deutschland gezüchtet wurde. Vom 2013er Sylter Wein waren trotz Trauben fressender Fasane 709 Flaschen gekeltert worden – in diesem Jahr rechnet der für den Weinberg zuständige Rheingauer Winzer Christian Ress mit der doppelten Menge.

Die Solaris-Rebe fühlt sich offenbar sogar in Schottland wohl – auch dort wird jetzt erstmals nördlich von Edinburgh Wein geerntet. Der Klimawandel lässt grüßen: Für die Wärme liebenden Reben erweitern sich durch die Aufheizung der Erde die Anbaugebiete in vormals kältere Gefilde. In Europa und Nordamerika geht die Reise nach Norden, in Südamerika und Australien gen Süden.