Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Staatssekretär Thorben Albrecht nannte die Niedrigqualifizierten als größte Problemgruppe – sie würden als Erste den Job verlieren. Die Weiterbildung müsse allgemein einen höheren Stellenwert bekommen. Auch zu diesem Zweck wird für Berufsanfänger längerfristig ein persönliches Erwerbstätigenkonto mit Startguthaben aus staatlichen Mitteln angeregt. Damit sollen Einkommensausfälle bei Qualifizierung, Existenzgründung oder Auszeiten kompensiert werden. Albrecht zufolge sollen diese Weiterbildungsfonds über Steuern finanziert werden. Verdi-Chef Frank Bsirske riet dementsprechend zur „Abschöpfung der Digitalisierungsrendite“. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer warnte vor neuen finanziellen Belastungen und mahnte Sicherheit für die Betriebe an. Binnen zwei Jahren „rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“ sei ihnen nicht zuzumuten.

 

In einer weiteren Runde warf Baden-Württembergs IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger die Frage auf, wie man auch für Beschäftigte in durchgetakteten Schichtbetrieben mehr persönliche Zeitsouveränität „auf die Reihe bringt“. Für Bosch-Geschäftsführer Christoph Kübel ist der Dialogprozess zu 4.0 ein „wichtiger gesellschaftspolitischer Beitrag“. Das Unternehmen habe sich vielfältig beteiligt, um den Wandel mitzugestalten. Bei Bosch gibt es seit 2014 eine Konzernbetriebsvereinbarung zur selbstbestimmten Arbeitszeit. Weit sei man bei den Angestellten gekommen, so Kübel – noch nicht so weit im „direkten“, taktgebundenen Bereich.

Wirtschaftsministerin findet Nahles „mutlos“

Aus dem Südwesten kam auch Kritik: Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) nannte die Nahles-Forderung nach Öffnungsklauseln im Arbeitszeitrecht „mutlos“. „Experimentierklauseln reichen nicht aus“, sagte sie dieser Zeitung. „Die starren Regeln unseres Arbeitszeitrechts werden der Wirklichkeit in vielen Unternehmen schon lange nicht mehr gerecht – es ist keine Zeit für Experimente, sondern zum Handeln.“ Die Problemlagen seien längst bekannt. Flexibilität werde nicht nur auf Tarifebene, sondern auch in Betriebsvereinbarungen gebraucht. Arbeitszeitmodelle, wie sie bei Bosch, Trumpf oder Daimler entwickelt würden, könnten eine Blaupause dafür sein. Allerdings „braucht auch eine Öffnungsklausel klare Leitplanken, zum Beispiel im Bereich des Arbeitsschutzes.“ Da dürfe der Gesetzgeber seine Verantwortung nicht an die Tarifpartner delegieren.

Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund warnt davor, grundlegende Schutzstandards aufzuweichen. Die bestehenden Öffnungsklauseln im Arbeitszeitgesetz seien ausreichend flexibel. Der Vorsitzende der Chemiegewerkschaft, Michael Vassiliadis, betonte, eine Abweichung von gesetzlichen Normen gebe es „nur unter Mitbestimmung durch unsere Betriebsräte“. Unternehmen, die dies nicht zu bieten hätten, „sind raus aus dem Spiel“.