Heute sehe ich Sorglosigkeit, wenn ich durch die Berliner Innenstadt gehe. Die Stadt hat sich schnell erholt. Nur die Seelen nicht. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, damit zurecht zu kommen. Man kann verdrängen, verherrlichen – oder man geht den geraden Weg und zieht die Konsequenz. Nie wieder Krieg, sag ich, wenn ich im Fernsehen die Bilder von Syrien oder Afghanistan sehe. Mag sein, dass es wie eine Floskel klingt, mir aber gehen die Worte durch und durch.

 

Natürlich wird man beim Anblick sterbender Kinder wütend und will den Fernseher am liebsten an die Wand schmeißen. Aber ich sage mir dann: Stopp! Denn Wut, die zu Hass wird, ist gefährlich. Die eigenen Emotionen zu beobachten dagegen . . . dadurch löst sich was. Jeder kann das ausprobieren, schon mit der nachbarschaftlichen Auseinandersetzung über die zu hoch gewachsene Hecke geht es los.

Aufeinander zugehen – darauf kommt es an

Am lernfähigsten sind wir als Kinder, und meine eigenen drei Kinder zu friedlichen Menschen zu erziehen, wäre mir zu wenig gewesen. Vierzig Jahre habe ich beim Verlag Junge Welt als Lektorin gearbeitet. Die Zeitschrift ,Fröhlich sein und singen’, die wir gemacht haben, hat sich vordergründig mit Themen wie Sport, Natur und Basteln beschäftigt. Aber mir ging es auch darum, einer nachwachsenden Generation zu zeigen, wie wichtig es ist, auf den anderen zuzugehen. Für mich der größte Erfolg meiner beruflichen Laufbahn: ,Das kleine Buch vom großen Frieden’, entstanden aus einem Aufruf in der Zeitschrift und 1985 herausgekommen.

Der Verlag unterstand wie alle Verlage in der DDR einer Organisation, in diesem Fall dem Zentralrat der FDJ. Ich bin dort als Jugendliche Mitglied gewesen, wie 99,9 Prozent aller jungen Leute. Für mich war die Arbeit als Lektorin aber nichts Parteipolitisches. Ich hab mich nie als Handlangerin gesehen, ich wollte aus dem selbst Erlebten etwas weitergeben. Nach der Wende wurde die Junge Welt abgewickelt, sprich: von einem westlichen Verlag übernommen, ich bin dann in Rente gegangen. Was ihr da produziert habt, war Propaganda – ich weiß, dass manche das so sehen. Ich bin eher unpolitisch, und ich wollte im Rahmen des mir Möglichen dafür sorgen, dass die Vergangenheit sich nicht wiederholt. Nicht hier in Berlin. Und auch nicht anderswo.“

Für den Abtransport wurden Schienen gelegt, auf denen Loren fuhren – kleine Wagen, wie man sie sonst im Bergwerk hat. Die Loren wurden mit Schutt beladen und entweder in die Spree gekippt oder zu großen freien Flächen gefahren, in denen im Laufe der Zeit enorme Trümmerberge entstanden: Berlin-Friedrichshain, der Brenner-Berg in Pankow . . .

Schuften bis die Hände und Muskeln schmerzen

Wir schlugen den Mörtel mit dem Hammer von den Ziegelsteinen ab, damit diese wiederverwendet werden konnten. Im Sommer band ich mir gegen den Staub Tücher vor den Mund, bei Regen wateten wir durch Schlick. Nur bei extremem Frost setzten wir aus. Natürlich war man erledigt, wenn man vom Einsatz kam. Die Handgelenke schmerzten, Muskelkater hatte ich, Schwielen an den Händen, blaue Flecke, wenn der Hammer daneben traf. Aber tief drinnen, da fühlte ich so was wie eine Pflicht. Einmal bekam ich eine Urkunde und eine Theaterkarte für meinen Einsatz.

Ruth Erhardt heute Foto: privat
Da fühlt man sich geehrt – und ist doch gleichzeitig irritiert. Wofür und vor allem von wem die Dankbarkeit? Wir saßen doch alle in einem Boot. Dachte ich. Bis ich anfing, auch nachts zu arbeiten. Die Trümmerfelder mussten bewacht werden, vom losen Stein bis zum Zementsack, es wurde alles geklaut. Einmal haben sie sogar einen ganzen Gartenzaun mitgenommen. Wer beklaute hier eigentlich wen? Wieder so eine Frage.

Andererseits machte die bittere Armut das irgendwie auch nachvollziehbar. Wenn ich nach einem Wacheinsatz am anderen Morgen ins Büro bin, war ich bleiern müde. Aber so manches hat sich, vor allem mit etwas Abstand, relativiert. Ich war jung, mein Körper hatte Reserven. Viele der Trümmerfrauen waren fünfzig – wie viele, das hat man später bei den Ehrungen gesehen. Und man hat gesehen, wie sie sich den Rücken kaputt gemacht haben. Für die Stadt, das Land, dafür, dass das Leben weiterging.

Wut, die zu Hass wird, ist gefährlich

Heute sehe ich Sorglosigkeit, wenn ich durch die Berliner Innenstadt gehe. Die Stadt hat sich schnell erholt. Nur die Seelen nicht. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, damit zurecht zu kommen. Man kann verdrängen, verherrlichen – oder man geht den geraden Weg und zieht die Konsequenz. Nie wieder Krieg, sag ich, wenn ich im Fernsehen die Bilder von Syrien oder Afghanistan sehe. Mag sein, dass es wie eine Floskel klingt, mir aber gehen die Worte durch und durch.

Natürlich wird man beim Anblick sterbender Kinder wütend und will den Fernseher am liebsten an die Wand schmeißen. Aber ich sage mir dann: Stopp! Denn Wut, die zu Hass wird, ist gefährlich. Die eigenen Emotionen zu beobachten dagegen . . . dadurch löst sich was. Jeder kann das ausprobieren, schon mit der nachbarschaftlichen Auseinandersetzung über die zu hoch gewachsene Hecke geht es los.

Aufeinander zugehen – darauf kommt es an

Am lernfähigsten sind wir als Kinder, und meine eigenen drei Kinder zu friedlichen Menschen zu erziehen, wäre mir zu wenig gewesen. Vierzig Jahre habe ich beim Verlag Junge Welt als Lektorin gearbeitet. Die Zeitschrift ,Fröhlich sein und singen’, die wir gemacht haben, hat sich vordergründig mit Themen wie Sport, Natur und Basteln beschäftigt. Aber mir ging es auch darum, einer nachwachsenden Generation zu zeigen, wie wichtig es ist, auf den anderen zuzugehen. Für mich der größte Erfolg meiner beruflichen Laufbahn: ,Das kleine Buch vom großen Frieden’, entstanden aus einem Aufruf in der Zeitschrift und 1985 herausgekommen.

Der Verlag unterstand wie alle Verlage in der DDR einer Organisation, in diesem Fall dem Zentralrat der FDJ. Ich bin dort als Jugendliche Mitglied gewesen, wie 99,9 Prozent aller jungen Leute. Für mich war die Arbeit als Lektorin aber nichts Parteipolitisches. Ich hab mich nie als Handlangerin gesehen, ich wollte aus dem selbst Erlebten etwas weitergeben. Nach der Wende wurde die Junge Welt abgewickelt, sprich: von einem westlichen Verlag übernommen, ich bin dann in Rente gegangen. Was ihr da produziert habt, war Propaganda – ich weiß, dass manche das so sehen. Ich bin eher unpolitisch, und ich wollte im Rahmen des mir Möglichen dafür sorgen, dass die Vergangenheit sich nicht wiederholt. Nicht hier in Berlin. Und auch nicht anderswo.“