Es sei höchste Eisenbahn, mit dem Klimaschutz ernst zu machen. So lauten die aktuellsten Mahnungen der Wissenschaftler. Am Sonntag ist der dritte Teil des fünften Weltklimaberichts in Berlin vorgestellt worden.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Der Hochgeschwindigkeitszug zur Minderung der Treibhausgase muss bald abfahren, und die ganze Weltgemeinschaft muss mit an Bord sein.“ Als am Sonntag in Berlin der dritte Teil des aktuellen Weltklimaberichts vorgestellt wurde, ließ der Vorsitzende des Weltklimarats IPCC, Rajendra Pachauri, es nicht an eindringlichen Worten fehlen. Viel Zeit hat die Menschheit nicht mehr, um die Erderwärmung in global erträglichen Grenzen zu halten, war seine Botschaft. Die Welt müsse mehr als je zuvor zusammenarbeiten, um die Aufwärmung der Atmosphäre auf zwei Grad zu begrenzen, forderte Pachauri.

 

Das Problem ist, dass die Welt diese Botschaft inzwischen kennt, und dass die politischen Aktivitäten zur Vermeidung des Klimawandels seit der gescheiterten Klimakonferenz von Kopenhagen im Jahr 2009 kaum Fahrt aufgenommen haben. Dennoch hoffen die internationalen Experten, die im IPCC zusammen geschlossen sind, dass ihr fünfter Sachstandsbericht zur Lage der Erde den Weg ebnet, damit Ende 2015 in Paris doch noch ein Weltklimavertrag abgeschlossen werden kann. Die Wissenschaftler sehen sich dabei in der Rolle von Kartografen, die eine Landkarte mit allen Faktoren zeichnen, während die Politik entscheidet, welchen der vielen Wege auf der Karte sie einschlagen will.

Der neue IPCC-Bericht, der sieben Jahre nach seinem Vorgänger erschienen ist und an dem 235 Autoren und 900 Gutachter aus 58 Ländern seit drei Jahren arbeiten, enthält drei Kernbotschaften: Es ist nicht zu spät; es ist mach- und bezahlbar, den Klimawandel in global erträglichen Grenzen zu halten, und es erfordert einen tief greifenden Wandel. In der vergangnen Woche wurde der letzte Teil des Reports erarbeitet. Es ist die etwa 30 Seiten umfassende Zusammenfassung für die Politik, die Zeile für Zeile mit Vertretern von 195 Regierungen abgestimmt worden ist.

Eine der schlechtesten Nachrichten aus dem Dokument ist, dass die klimaschädlichen Kohlendioxidemissionen nie zuvor stärker gestiegen sind als von 2000 bis 2010. Im Durchschnitt gelangten in diesem Jahrzehnt rund um den Erdball jährlich 2,2 Prozent mehr klimaschädliche Stoffe in die Atmosphäre – trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise, die die industrielle Produktion drosselte, und trotz der Klimaschutzpakete, die bereits in die Wege geleitet sind. In den dreißig Jahren zuvor, stiegen die Emissionen jährlich um 1,3 Prozent.

„Das Wachstum der Weltbevölkerung und vor allem das Wirtschaftswachstum sind Treiber dieser Entwicklung“, erklärte Ottmar Edenhofer, Potsdamer Klimaforscher und Kovorsitzender der zuständigen IPCC-Arbeitsgruppe bei der Vorstellung des Berichts in Berlin. „Die Wachstumsdynamik zehrt die CO2-Minderungen auf, die wir durch Klimaschutz erreicht haben“, setzt er hinzu. Verstärkt werde dies durch eine Renaissance der Kohlekraft, die wieder wettbewerbsfähig geworden sei. Edenhofer ist sich sicher: „Machen wir weiter wie bisher und betreiben ‚Business as usual’ werden wir 2100 einen Temperaturanstieg von 3,7 bis 4,8 Grad haben.“

Ein Schlüssel für die klimapolitische Wende ist nach seinen Worten, die Abkehr von der fossilen Energieversorgung. Anstatt Kohle, Gas und Öl zu verbrennen, müssten kohlestoffarme Verfahren Vorrang bei der Stromerzeugung bis zum Jahr 2050 eine drei – bis viermal größere Rolle spielen. Der IPCC-Bericht nennt neben den Erneuerbaren Energien ausdrücklich auch die Atomkraft und Kohlekraftwerke mit Carbon-Capture-and Storage-Technologie (CCS), bei der Kohlendioxid abgetrennt und unter der Erde eingelagert wird.

Für die positivste Nachricht aus dem neuen Forschungsbericht fand Mitautor Ottmar Edenhofer bei der Pressekonferenz in Berlin saloppe Worte: „Es kostet nicht die Welt, den Planeten zu retten“, erklärte er. Zwar konnte der Ökonom nicht in Euro und Cent benennen, was es kosten würde, das Zwei-Grad-Ziel abzusichern, aber Größenrelationen lieferte er schon: Gehe man von einem durchschnittlichen Weltwirtschaftswachstum von zwei Prozent jährlich aus, sinke die Wachstumsrate durch ausreichende Klimamaßnahmen lediglich um 0,06 Punkte auf 1,94 Prozent. „Das liegt absolut im Rahmen“, sagte er. Belastungen dieser Größenordnung, seien vergleichbar mit Steuererhöhungen oder den Folgen einer Finanzkrise. Nicht nur für die Industrie-, sondern auch für die Schwellen- und Entwicklungsländer ist die Einschätzung wichtig, dass der Klimaschutz das Wachstum nicht zum Erliegen bringt.

Der deutsche Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth, der den Bericht für die Bundesregierung kommentierte, gibt sich sogar überzeugt, dass „es uns die Welt kostet, wenn wir nichts tun“. Er wies eilends darauf hin, dass die Kostenrechnung des IPCC zudem noch den Nutzen außen vor lasse, der durch Klimaschutzmaßnahmen entstehe – zum Beispiel weil es nicht zu Überschwemmungen oder Dürren komme.

Doch auch wenn der IPCC-Bericht, wie Ottmar Edenhofer betonte, nichts vorschreibt, sondern nur Optionen beschreibt, hat der jüngste Report für die Bundesregierung auch ein paar unangenehme Zwischentöne. Trotz Energiewende sind zuletzt auch in Deutschland die CO2-Emissionen wieder gestiegen, weil nicht nur mehr Öko-, sondern auch mehr Kohlestrom produziert wurde. Der IPCC macht deutlich, dass die Welt langfristig auf die Erneuerbaren Energien umsteigen muss. Als Brückentechnologien akzeptiert der Weltklimarat jedoch sowohl die Atomkraft, als auch die in Deutschland höchst unpopuläre Kohletechnologie CCS oder die Förderung von Schiefergas (Fracking).

„Wenn wir bei der Energiewende zuwarten, werden wir eventuell in die unbequeme Lage kommen, auch unbeliebte Technologien zu nutzen“, mahnte Flasbarth. Er wandte sich dagegen, bei der Erneuerung des Kraftwerksparks auf Kohle zu setzen. „Es mag verlockend sein, in neue Kohlekraftwerke zu investieren“, meinte er. „Aber langfristig ist das ohne die CCS-Technologie nicht mehr in Übereinstimmung mit den Klimazielen zu bringen.“

Aufgaben und Berichte des Weltklimarates

IPCC
Der Weltklimarat IPCC (International Panel on Climate Change; Zwischenstaatliches Gremium zum Klimawandel) ist eine Teilorganisation der Vereinten Nationen. Gegründet wurde er im Jahr 1988 vom UN-Umweltprogramm und der Weltvereinigung der Meteorologen. Er soll den Stand der Klimaforschung zusammentragen und bewerten. Vier Berichte des IPCC sind bereits vollständig.

Berichte
Die Berichte sind in drei Teile gegliedert. Im September 2013 ist der erste Teil des fünften Berichts erschienen, in dem es um physikalische Grundlagen ging: Wie entwickeln sich Temperaturen und Meeresspiegel? Und wie hängt das von den Treibhausgasen ab? Im zweiten Berichtsteil geht es um die Folgen des Klimawandels. Der dritte Teil diskutiert Maßnahmen gegen den Temperaturanstieg. Er ist gestern in Berlin vorgestellt worden.

Zusammenfassung
Die Berichte sind sehr umfangreich; jeder Teil ist 1000 bis 2000 Seiten lang. Politisch bedeutend sind die „Zusammenfassungen für Entscheidungsträger“. Sie werden von den 195 beteiligten Staaten in einer vertraulichen Verhandlung Satz für Satz einstimmig verabschiedet.