Ein italienischer Clown bringt das Publikum zum Lachen, Artisten wirbeln durch die Luft, andere verrenken sich auf unmenschliche Weise: Am Donnerstagabend hat der Weltweihnachtscircus auf dem Cannstatter Wasen Premiere gefeiert.

Stuttgart - „Der Clown ist nicht da?“ Doch, der Clown ist da. David Larible sitzt am Rand der Manege, ungeschminkt und scheinbar unbeteiligt. „Wir brauchen einen mit einem komischen Gesicht“, sagt der Moderator des Abends Peter Goesmann weiter und zeigt auf Larible. Dieser erhebt sich, stolpert in die Manege und lässt sich verwandeln: die später auftretenden Artisten springen durch den rot-samtenen Vorhang, reichen Schminkutensilien, karierte Hose und ein ebenso kariertes Hemd, das von der Zeltdecke schwebt. Zwei Minuten, weiße Bäckchen, rote Nase – und fertig ist der Clown.

 

Der berühmte italienische Clown David Larible versteht es an diesem Premierenabend, nicht sich selbst, sondern mehr oder minder Freiwillige aus dem Publikum in den Mittelpunkt seines Klamauks zu stellen. Die gute Sicht in den vorderen Rängen ist im Nu gar nicht mehr so attraktiv, wenn das Scheinwerferlicht über die dort sitzenden Besucher hinwegschwenkt. Die Beteiligung des Publikums ist nicht selten ein Drahtseilakt zwischen Freude und Fremdscham. Larible aber schafft es in seinen Nummern, die Würde seiner Aushilfsclowns zu wahren. Sie schlagen sich gut, trommeln, wedeln mit den Händen, wackeln mit den Hintern und spucken mit Larible um die Wette. Der Gewinner des Goldenen Clowns beim Zirkusfestival in Monte Carlo versteht sein Handwerk und gewinnt die Lacher durch seinen subtilen Humor. Und er hat professionelle Helfer mitgebracht, die das Ganze geschickt mit lenken. David Laribles Auftritte ziehen sich wie ein roter Faden durch die Vorstellung.

Auf ihn folgt die Solokov-Gruppe aus Russland. Die Artisten wirbeln mit Hilfe von Schleuderbrettern durch die Luft, auf Stelzen und ohne, mit Saltos und ohne. Die Sprünge sind waghalsig, die Kostüme opulent. Im Mittelpunkt des diesjährigen Gastspiels in Bad Cannstatt stehen sicherlich Weltrekorde und Kraftakte. Erstmals fliegen etwa in Alessio und Elisas Nummer fünfzig Papageien durch die Manege und über die Köpfe der Zuschauer hinweg. Beim Beitrag mit dem Titel „The Globe of Death“ fahren diesmal zehn statt acht Motorradfahrer auf engstem Raum durch eine Stahlkugel mit einem Durchmesser von gerade mal 5,8 Metern. An dieser Stelle, direkt nach der Pause, wird es zum ersten Mal im Zirkuszelt richtig laut im Zuschauerraum. Vielleicht, weil alle erleichtert sind, dass keine der Motocross-Maschinen mit einer anderen kollidiert. Doch die kolumbianischen Fahrer sind Profis und üben ihren Stunt seit Monaten.

Akrobatik trifft Ästhetik

Der Weltweihnachtscircus ist immer auch ein Familientreffen internationaler Artisten. Die meisten stammen aus traditionsreichen Zirkusfamilien, so wie Géraldine Katharina Knie aus der Nachfolgegeneration des Nationalzirkus Gebrüder Knie. Sie schafft mit ihren weißen Vollblutarabern schöne Bilder in der Manege.

Um Familie geht es auch in einer weiteren Nummer von David Larible. Ausnahmsweise ganz ernst ist er, als er zusammen mit seiner Tochter Shirley vors Publikum tritt. Das Mädchen ist genauso wie seine Mutter Trapezakrobatin und schwebt an diesem Abend unter der Zirkuskuppel – während ihr Vater eine Ode an seine bildschöne Tochter singt. Das ist ungefähr so schnulzig wie es klingt, doch artistisch ist das, was Shirley zeigt, auf höchstem Niveau. Sie schwebt an zwei dicken Gurten, die in der Fachsprache Strapaten genannt werden, zeigt Spagat, Saltos und dreht sich um die eigene Achse. Das ist erstaunlich, da die Strapaten traditionell eigentlich Männern vorbehalten sind, weil man dafür enorm viel Kraft braucht.

Das gilt auch für die Nummer der ungarischen Artisten Sandor Oláh und Gyula Takács, die ihre goldgefärbten Körper im Zeitlupentempo zu immer neuen Posen verbiegen. Nach weiteren Kraftakten und unmenschlichen Verrenkungen hat der Zirkusdirektors Henk van der Meijden keinen Grund mehr, streng zu gucken. Er wirkt am Ende des Abends entspannt und sichtlich zufrieden. Die gesamten Einnahmen dieser Premiere kommen übrigens der Olgäle-Stiftung zugute.