Nokia will nach dramatischen Verlusten in diesem Jahr weltweit bis zu 10.000 Stellen streichen. Ulm wird geschlossen, weil die Einsteigerhandys nicht mehr als zukunftsfähig gelten.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Wer von den 730 Nokia-Beschäftigten in Ulm die Analystenkommentare der jüngeren Zeit gelesen, wer den Verfall des Börsenkurses verfolgt hatte, musste längst pessimistisch gestimmt gewesen sein. Die Nachricht vom Donnerstagmorgen hat dennoch einen Schock ausgelöst. Der Standort am Ulmer Eselsberg soll bis Ende September komplett geschlossen werden. Teilnehmer einer Betriebsversammlung berichteten von Tränen und Wut. Kein Betriebsrat wollte Stellung nehmen.

 

Nokia opfert das Ulmer Werk einer weltweiten Sparmaßnahme. Bis 2013, so gab der Nokia-Chef Stephen Elop bekannt, werde der Konzern weltweit bis zu 10 000 Stellen abbauen. Neben Ulm werden die Werke in Burnaby (Kanada) und Salo (Finnland) dicht gemacht. „Wir bedauern den geplanten Stellenabbau“, sagte Elop. Die Maßnahme sei jedoch „zwingend“. Der Konzern hat seit Anfang 2011 die Streichung von mehr als 40 000 Stellen angekündigt. Nokia will zudem Änderungen im Spitzenmanagement vornehmen. Der Umbau wird laut Konzern eine weitere Milliarde Euro kosten.

Eine Milliarde Verlust im ersten Quartal

Im ersten Quartal 2012 fuhr der Handyhersteller trotz eines weltweit wachsenden Handymarktes einen operativen Verlust von knapp einer Milliarde Euro ein. Schon aus dem Geschäftsjahr 2011 war man mit einem Minus von 1,2 Milliarden Euro gegangen. Bis Ende 2013 wollen die Finnen ihre operativen Kosten auf drei Milliarden Euro senken. Im Jahr 2010 waren noch 5,35 Milliarden Euro aufgewendet worden.

Als Elop am Donnerstag über die Zukunft sprach, fiel immer wieder der Begriff Lumia, Name der aktuell beworbenen Smartphone-Reihe. „Lumia hat uns den Wiedereinstieg in den USA ermöglicht“, ergänzte ein Konzernsprecher – vor allem diese Gerätereihe soll für verschiedene Käuferschichten weiterentwickelt werden.

Zu Gunsten dieser Konzentration werden die beiden entferntesten Enden des Produktportfolios abgeschnitten. Nokia wird die Sparte für Luxus-Mobiltelefone, die unter dem Namen Vertu am Markt ist, zu einem nicht bekannten Preis an das europäische Private-Equity-Unternehmen EQT verkaufen. Außerdem wird die Produktion von Billighandys, die vor allem in Schwellenländern Absatz finden, bis auf zwei verbleibende Geräteserien zurückgefahren. Die 730 Mitarbeiter am Standort Ulm entwickeln und prüfen genau solche Einsteigerhandys. In mehr als 200 Einzeltests werden die Geräte auf ihre Robustheit getestet. „Der Markt für Mobilephones stagniert, der Markt für Smartphones wächst“, sagt der Konzernsprecher. Offenbar will sich Nokia mit dem Notsparprogramm zugleich gegen weiter fallende Margen wappnen. Im Konzern wird damit gerechnet, dass schon 2013 die ersten Smartphones für weniger als 100 Dollar auf den Markt kommen.

Nur Berlin und Ratingen bleiben bestehen

In Deutschland wird Nokia nur noch an der Zentrale in Ratingen sowie am Standort Berlin festhalten, wo knapp 800 Mitarbeiter an der Entwicklung von ortsbezogenen Diensten arbeiten. Der baden-württembergische Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) nannte die Konzernentscheidung „sehr bedauerlich“, der Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner (SPD) kritisierte die Aufgabe der Ulmer Entwicklung sogar als einen „großen Fehler“. Seit 18 Jahren gibt es Nokia in der Stadt, das Unternehmen gehört zu den wichtigen Bausteinen der sogenannten Wissenschaftsstadt auf dem Eselsberg. Unberührt von den aktuellen Streichungsplänen ist der Netzwerkhersteller Nokia Siemens Networks (NSN) mit Sitz in München. Dort müssen allerdings, wie im März bekannt wurde, 1600 von 3600 Mitarbeitern gehen.

Der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Ulm, Otto Sälzle, ist skeptisch, ob die 730 Ulmer Nokia-Beschäftigten – überwiegend Softwareentwickler und Ingenieure – auf dem regionalen Arbeitsmarkt weitervermittelt werden können. Es handle sich um „hochspezialisierte Fachleute“, deren Abwanderung wahrscheinlich sei. Knapp ein Viertel der Belegschaft stammt ohnehin aus dem Ausland. Mögliche regionale Interessenten könnten die direkt benachbarte Daimler-Softwarefirma TSS oder EADS Secure Networks sein, die auf den Aufbau digitaler Behördenfunksysteme spezialisiert ist.