Die Senioren-Union hadert mit Kanzlerin Angela Merkel – und leistet ihr doch Gefolgschaft.

Ludwigsburg - Seniorenunion, das klingt ein wenig nach Pflegeheim und betreuter Politik. Im fortgeschrittenen Rentenalter sind die 140 Damen und Herren bestimmt, die sich hier in Ludwigsburg zur Landesversammlung treffen.Vielleicht verstärken ja auch die Kronleuchter des Tagungsorts den musealen Eindruck: Durch die „Musikhalle“, ein sorgsam restauriertes Schmuckstück aus der Gründerzeit, weht ein Hauch von Nostalgie. Wer nun glaubt, hier dürfe eine kleine Randgruppe der Partei noch ein wenig poltern, der täuscht sich. Denn die Seniorenunion ist die Union. „Mehr als 35 000 der fast 70 000 CDU-Mitglieder im Land sind über 60“, ruft der scheidende Landesvorsitzende Wolfgang Freiherr von Stetten in den Saal. Die ältere Generation müsse mehr Gehör finden.

 

An dem Baron aus Hohenlohe, der von 1990 bis 2002 im Bundestag saß, kann das Defizit nicht liegen: Er lässt in Ludwigsburg mächtig Dampf ab. Dem CDU-Landesvorsitzenden, Innen-und Digitalminister (er meint Thomas Strobl) hält er vor, dieser trage „die WebCam wie eine Monstranz vor sich her“, lasse sich aber von den Grünen gängeln. Und gegen den Innenminister im Bund (er meint Thomas de Maizière) stichelt er, dieser mache „außerirdische Vorschläge“ zu muselmanischen Feiertagen. Der Grünen-Umweltminister wiederum pflastere die Landschaft mit Windrädern zu, und beim Gedanken an den Grünen-Verkehrsminister werde ihm nur noch übel. „Ich halte die Grünen nach wie vor für ein Sicherheitsrisiko“, gesteht der 76-Jährige. Die AfD sei letztlich nur wegen hausgemachter Fehler der CDU so stark geworden: „Das ist Fleisch vom Fleische unserer Partei.“ Und natürlich wegen der Unzufriedenheit mit der Kanzlerin.

Poltern und schmeicheln

Überhaupt die Kanzlerin. Angela Merkel müsste, wenn es nach ihm ginge, eher Neuwahlen anberaumen als in den Koalitionsgesprächen zu viele Kompromisse eingehen, sagt der streitbare Freiherr – und immer wieder wird er von Beifall und Klopfen unterbrochen. Fast könnte man glauben, hier träfen sich die letzten Gerechten, ein zorniger Verein alte Frauen und Männer. Doch so ist es dann doch nicht. Dem scheidenden Verbandschef gelingt vielmehr eine rasante rhetorische Kurve, um die Kanzlerin am Ende doch noch zu loben. Merkel habe eine führende Rolle in Europa und der Welt. Von Stetten: „Wir sollten nicht kleinkariert an ihr herumnörgeln, sondern sie stützen.“ Und dann zollte er der Parteifreundin den höchsten Respekt, den ein Schwabe überhaupt zu zollen in der Lage ist: „Sie hat eine Saukuttel, sie ist ein Pfundsweib.“ Um halblaut hinzuzufügen: Aber Merkel müsse auch dafür sorgen, dass Europa nicht von Wirtschaftsflüchtlingen überschwemmt wird.

So ist das also mit den CDU-Senioren, zwei Herzen schlagen in ihrer Brust. Am Rand der Tagung bekennen das viele ganz offen. „Ich hab’ schon alles gemacht für die CDU, war Gemeinderat, Kreisrat, und bin auch ganz zufrieden“, sagt etwa Günter Kast aus Eggenstein-Leopoldshafen bei Karlsruhe – „aber manchmal tut’s weh.“ Dass Merkel 2013 den CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich entlassen habe, fand er ungerecht und hat ihr das auch geschrieben. Auf eine Antwort wartet er bis heute. Die Fehler in der Asylpolitik könne man Merkel nicht allein anlasten, meint wiederum Willi Scheffner aus Tauberbischofsheim: „Wo waren denn da die CDU-Ministerpräsidenten?“ Und Jamaika? Auf diese Frage ernten man in der Musikhalle häufiges Achselzucken. „Der Bürger hat halt so gewählt“, sagt Lutz Walter aus Großrinderfeld, „wenn Merkel vernünftig wird, ist’s eine Chance.“

Achselzucken zu Jamaika

Auch für die CDU? Das glaubt Rainer Wieland (60), der neue Landeschef der Senioren-Union, sehr wohl. „In der Politik kann man einer verlorenen Wahl nicht beleidigt den Rüssel hängen lassen“, belehrt der Europaparlamentarier seinen Vorgänger, der seinen Rückzug damit begründet hatte, dass er mit Grün-Schwarz im Land nicht könne. Und allen, die mit Merkel hadern, schreibt er ins Stammbuch, dass unzeitgemäße Personaldiskussionen erfahrungsgemäß „lächerlich bis selbstmörderisch“ seien. Im Europaparlament habe man ihn jedenfalls rundum beglückwünscht, dass Merkel Kanzlerin bleibe.

Dass er seinem Vorgänger in puncto bildhafter Sprache in nichts nachsteht, beweist Wieland in einem Vergleich, für den er viel Beifall erhält: Ältere Skifahrer neigten ja an steilen Abfahrten gern dazu, sich bremsend nach hinten zu hocken. Doch jetzt helfe nur noch „kraftvolles Schwingen“. Dazu müssten sich auch die CDU-Senioren aufraffen, indem sie sich um die Themen aller Generationen kümmere. Deshalb hat er für den Verband, der im Südwesten rund 4500 Mitglieder hat, erstmals einen Internet- und einen Mitgliederbeauftragten bestallt: „Sie sollen mithelfen, dass die CDU nicht Antworten gibt, die zehn Jahre zu alt sind.“

„Wach auf, CDU!“

Das flammendste Plädoyer, Bewährtes mit Neuem zu verknüpfen, kommt in Ludwigsburg übrigens vom blutjungen Generalsekretär der Landes-CDU, Manuel Hagel (29). Der Landtagsabgeordneter hat sich erst jüngst mit einem Positionspapier („Wach auf, CDU!“) als konservativer Bannerträger empfohlen und wird von den Senioren in Ludwigsburg freundlich empfangen. Die CDU müsse sich als Partei begreifen, die „in der Mitte, aber eben nicht links von der Mitte“ stehe, schreibt er darin. Und er plädiert dafür, dass „der Wunsch vieler Menschen, bei aller Offenheit für Neues die kulturelle Identität des eigenen Landes nicht grundstürzend verändert zu sehen“, als berechtigtes Interesse anerkannt wird. Die Partei müsse sich wieder auf ihre liberalen und konservativen Wurzeln besinnen, sagt er unter viel Beifall. Ex-Ministerpräsident Erwin Teufel (78), der am Nachmittag aufs Podium steigt, wird es ganz ähnlich sagen.