Ein Grübler, ein Träumer, einer, der schon mal am Publikum vorbei filmt: im Ausland wie zuhause zählt Wim Wenders zu den bekanntesten deutschen Regisseuren. Doch so viel Begeisterung wie 1987 „Der Himmel über Berlin“ ernten seine neueren Werke nicht mehr. Woran liegt das eigentlich?

Stuttgart - Berlin war immer eine selbstbewusste Stadt. Auf die Idee, diesen Ort würden sich die Engel auf Erden aussuchen, wären trotzdem nur wenige ihrer Bewohner gekommen. Wim Wenders aber hat zusammen mit Peter Handke als Ko-Autor einen Film gedreht, der 1987, als die Mauer noch stand, zwei Engel die Stadt durchstreifen lassen. „Der Himmel über Berlin“ mit Bruno Ganz und Otto Sanders wurde einer von Wenders’ größten Erfolgen, einer jener Filme, an die sich Menschen – vor allem solche, die ihn nie wieder gesehen haben – sehr gerührt erinnern.

 

Das Gesehene wird da zum Teil der eigenen Biografie. Das alles haben wir gedacht, gewusst, gefühlt, erinnert sich der Zuschauer an schmale zwei Stunden, die ihm als Beleg dienen für ein reiches eigenes Leben auch außerhalb des Kinos. In bestimmten Kreisen werden Wenders’ Werke oft als nachhallende Erfahrungen genannt.

Nachlassende Begeisterung

Aber zum siebzigsten Geburtstag des am 14. August 1945 in Düsseldorf Geborenen muss man konstatieren: die Beziehung zwischen den Deutschen und Wim Wenders ist ein wenig schwierig geworden. Sein 2011 ins Kino gekommener Dokumentarfilm „Pina“ über die Arbeit der Tanztheaterlegende Pina Bausch lockte mehr als eine halbe Million Besucher, die 2014 gestartete Dokumentation „Das Salz der Erde“ über den Fotografen Sebastião Salgado noch knapp über 200 000 Besucher. Der Spielfilm „Palermo Shooting“ dagegen hatte es 2008 nur auf 50 000 Besucher gebracht, Wenders’ Spielfilm „Every Thing will be fine“ im Sommer 2015 auf gerade mal 48 000.

Das ist dürftig, auch wenn es man nicht mit den 1,2 Millionen Menschen vergleicht, die in Deutschland Karten für die 1999 gestartete Musikdokumentation „Buena Vista Social Club“ gelöst haben. Offenbar wollen Kinogänger zwar noch sehen, was Wenders über andere Künstler zu erzählen hat. Für seine eigenen Ideen und Visionen aber interessieren sie sich nicht mehr.

Der klassische Aufbruchsfilmer

Nun kann man Wim Wenders eines ganz gewiss nicht vorwerfen: je auf Publikumserwartungen geachtet zu haben. Er begann als Musterbeispiel eines Autorenfilmers, als dieser Begriff noch etwas galt, also wahlweise als Querkopf, Grübler oder Träumer, einer, der das Publikum an dem teilhaben ließ, was ihn selbst bewegte. Dass ihn ausländische Kritiker und Kollegen so schätzen, liegt wohl auch daran, dass Wenders die Sehnsucht nach dem philosophisch-romantischen Deutschen erfüllt, dass er die Suche nach der blauen Blume ins Dickicht der Städte und ins Niemandsland der amerikanischen Weite übertragen hat.

Wenders ist einer der vier Aufbruchsfilmer der Sechziger, die jenseits der deutschen Grenzen zu einigem Ruhm kamen. Die anderen sind Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog und Volker Schlöndorff, und unter denen schien Wenders immer der Verträumteste, derjenige, der in seinen Filmen Geheimnisse versteckte, die er selbst nicht zu deuten, vielleicht nicht einmal wiederzufinden wusste, der Antipode des rüde provozierenden Fassbinder.

Die Liebe zu Amerika

Doch die beiden haben auch etliches gemeinsam, etwa die Rebellion gegen ein klischiertes Erzählkino bei gleichzeitiger Zuneigung zu Hollywoods Mythen und Genres. Fassbinder hat mit forscher Aneignungsgeste vor allem nach Douglas Sirk gegriffen, Wenders hat sich fast schüchtern in amerikanische Landschaften, Städte und Wahrnehmungsmuster begeben.

Im Schwarz-Weiß-Film „Alice in den Städten“ von 1974 fährt die Kamera von Robby Müller mit dem Schauspieler Rüdiger Vogler zunächst durch die USA, wir sehen Motels, Highways, einsame Landtankstellen. „Ich kann gar nicht glauben, dass ich hier bin, ich will mal sehen, was das mit mir macht“, scheint Wenders uns da zu sagen. 1984 in „Paris, Texas“ hat er dann mit mehr Selbstvertrauen amerikanische Westernmotive gegen den Strich gebürstet.

Über alte Zwänge erheben

Später, in „Alice in den Städten“, fährt Rüdiger Vogler durch die Straßen von Wuppertal, und die Kamera schaut genau so geduldig hin, auch wenn ihr Blick nun von Häuserzeilen eingeengt wird. Da stellt Wenders seine beiden Erfahrungsräume noch nebeneinander, später schiebt er sie ineinander. „Im Lauf der Zeit“ von 1976 etwa ist der Versuch, die Versprechen des amerikanischen Roadmovies in der deutschen Provinz am Leben zu halten. „Der Himmel über Berlin“ war wohl auch deshalb so ein Erfolg, weil sich Henri Alekans Kamera buchstäblich über die alten Zwänge und Grenzen erhob, fort von deutschen Straßengevierten und amerikanischen Highway-Linealen, weil sie nun frei über den Dächern der Stadt ihre Kurven zog.

Mancher fand Wenders’ Amerika-Nachbauten wie seine Handke-Dialoge schon damals abstrus oder langweilig. Aber in Wenders’ Filmen war der Selbstzweifel immer schon mit eingebaut, sie hatten trotz des gemächlichen Tempos etwas Vorläufiges. „Es ist doch nie das drauf, was man gesehen hat“, schimpft programmatisch der von Vogler gespielte Journalist in „Alice in den Städten“ über die Polaroidfotos, die er während seiner Reise knipst.

Glück und Konflikte

Konflikte und Widersprüche, in einer Art Zeitlupenanalyse betrachtet, machen das Werk von Wenders aus: Ruhe und Bewegung, Liebe und Abschottungsbedürfnis, Erleben und Grübeln. Filme, hat er in einem Interview gesagt, bräuchten sowohl Vergangenheit als auch Gegenwart, und hat zugegeben: „Mitunter gerät man zu sehr in Erinnerung oder zu sehr in Verarbeitung von Erinnerung, und dann entgleitet einem sozusagen die Präsenz eines Films. Dann macht man sehr zerebrale Filme. Mitunter gelingt es einem, ganz in der Gegenwart aufzugehen, ohne seine Erinnerung abzuschalten, und das sind dann Glücksfälle.“

Aber sich mit einem Regisseur auf die Suche nach einem ungewissen Glück zu machen, das entspricht nicht mehr den Bedürfnissen des aktuellen, also älteren Arthouse-Publikums, das früher Wenders’ Filme schaute. Das will jetzt die Gewissheit, dass ein Filmemacher das Glück schon gefunden und zum weiteren Ausschank parat hat.