Zum Frühjahrsbeginn ist Baden-Württemberg nicht wärmeverwöhnt: Kein Bundesland hat im vergangenen Monat weniger Sonnenstunden gehabt. Auch die Landwirte leiden unter dem hartnäckigen Winter.

Stuttgart - Endlich stimmt der subjektive Eindruck einmal mit den Fakten überein: Man bibbert, und seit einer gefühlten Ewigkeit liegt morgens Schnee auf der Wiese. „Tatsächlich war dieser März einer der kältesten überhaupt“, sagt Dorothea Paetzold vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach. Er gehörte bundesweit zu den sechs kältesten Märzmonaten seit Messbeginn 1881. Für das eher sonnenverwöhnte Baden-Württemberg kam erschwerend hinzu, dass es im vergangenen Monat in Sachen Sonnenschein Schlusslicht im bundesdeutschen Vergleich war: Mit nur 113 Stunden erreichten die Sonnenstrahlen im Land nicht einmal den Durchschnittswert von 117 Stunden.

 

Schuld an den eisigen Temperaturen sei ein Skandinavienhoch, sagt Paetzold. In diesem Hochdruckgebiet drehe sich die Luft im Uhrzeigersinn über Skandinavien. Dadurch bekomme man hierzulande den kalten Nordostwind ab. Und weil ein Hochdruckgebiet eher zäh und beständig sei, dauere die Kälte nun auch schon eine Weile – so lange, bis das nächste Tiefdruckgebiet die Kaltluft wegpuste.

Wissenschaftler sprechen vom „Lake-Effekt“

Den späten und heftigen Wintereinbruch mit wenigen Sonnenstunden und viel Schnee kann man klimatisch auch mit dem sogenannten Lake-Effekt erklären, wie von Lars Fischer im Internetauftritt der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“ beschrieben. Beim „Lake-Effekt“ streicht kalte Luft über relativ warme, offene Wasserflächen und nimmt dabei große Mengen an Feuchtigkeit auf. Je größer der Weg über das offene Wasser, desto feuchter wird die Luft – je länger also die zurückgelegte Strecke, desto mehr Niederschlag kann der „Lake-Effekt“ erzeugen. Allerdings funktioniert dies nur, wenn die Luft über dem Erdboden besonders kalt ist. Die warme Seeluft kann schneller in größere Höhen aufsteigen, und dabei entstehen hohe Quellwolken. In diesen kühlt sich die Luft ab, der Wasserdampf kondensiert aus und schneit zu Boden – dies kann tagelang dauern.

In hiesigen Gefilden kommt das Phänomen eher selten vor, oft aber in der Region der weltweit größten Seen in Nordamerika. Doch auch in Deutschland könnte sich der Effekt häufiger zeigen: Kaltlufteinbrüche aus Nordost, die über die immer häufiger eisfreie Ostsee strömen, eignen sich dafür.Derart verstärkte Kaltlufteinbrüche infolge des Meereisschwundes hat Vladimir Petoukhov vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) bereits 2010 beschrieben. Demnach könnte die Erderwärmung in Europa kalte Winter zur Folge haben: In der östlichen Arktis nimmt das Eis auf dem Meer ab, damit werden örtlich die unteren Luftschichten aufgeheizt, was zu einer starken Störung der Luftströmungen führen kann. Und damit könnten, folgert der PIK-Forscher, die nördlichen Kontinente abkühlen.

Der Klimawandel beeinträchtigt die Zugvögel

Betroffen von dem ungewöhnlich kalten Wetter und der vielerorts beständigen Schneedecke sind nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere. Greifvögel und einige Eulenarten hätten Probleme, an Mäuse heranzukommen, sagt Andre Baumann, Landesvorsitzender des Naturschutzbundes. Der Klimawandel führe dazu, dass einige Vögel nicht mehr nach Afrika ziehen. So ziehe die Sperlingsart Mönchsgrasmücke oft nur noch bis Süditalien. Schließlich gibt es auch bei den Zugvögeln einen Lerneffekt. „Einige sind nach England geflogen, die kamen kugelrund zurück“, sagt Baumann: „Jetzt gibt es einen immer größeren Bestand, der nach England fliegt.“

Der Landwirt Thomas Hagmann, der zwischen Bad Saulgau und Ravensburg einen Ackerbaubetrieb bewirtschaftet, hat „in den letzten 30 Jahren keinen so kalten März erlebt wie in diesem Jahr“. Durch die Kälte verzögere sich die Frühjahrsaussaat. Normalerweise säe er Hafer Mitte März und Sommergerste spätestens Anfang April. Nun rechnet Hagmann bei beiden mit mehreren Wochen Verspätung. Durch die kürzere Vegetationszeit könnten die Erträge niedriger ausfallen. Winterweizen, Wintergerste und Winterraps seien dagegen wegen der langen Schneebedeckung gut über die kalte Zeit gekommen, berichtet der Landwirt. Frost sei für die Pflanzen vor allem gefährlich, wenn eine isolierende Schneedecke fehlt. Insgesamt erwartet er bei den Winterkulturen keine starken Ertragsrückgänge durch die Märzkälte: „Wenn im Mai der Regen fehlt, wirkt sich das viel stärker aus.“ Genaue Erntevorhersagen sind so früh im Jahr generell schwierig, weil die Pflanzen unter guten Bedingungen viele Verzögerungen wieder aufholen können. Klar ist dagegen, dass den Bauern viel Arbeit ins Haus steht, wenn die Temperaturen steigen. Dann muss all das erledigt werden, was bisher liegen geblieben ist.

Die Gemüsebauern leiden unter den Wetterkapriolen

Unmittelbar spürbar sind die Wetterkapriolen im Gemüsebau. „Wir sind fast drei Wochen im Rückstand“, sagt Karl Schumacher. Der Landwirt aus Köngen ist nach Ostern damit beschäftigt, endlich Salat zu pflanzen. Normalerweise werde in der Region Stuttgart der erste Salat um den 1. Mai geschnitten; dieses Jahr könnte sich die Ernte bis Mitte Mai verzögern. Eine genaue Prognose wagt Schumacher nicht: „Unsere Werkstatt ist nun mal im Freien, da kann vieles passieren.“

Die Verbraucher wiederum bekommen den verlängerten Winter nicht nur am eigenen Leib, sondern auch im Geldbeutel zu spüren: Die Märzkälte könnte die Preise für einzelne Gemüsearten steigen lassen. Feldsalat war in der vergangenen Woche schon um 90 Prozent teurer als im Vorjahr.