Im Haus der Familie Rumig in Winterbach gibt es nur eine einzige Tür – und zwar diejenige zur Toilette. Es ist im Wettbewerb „Beispielhaftes Bauen“ ausgezeichnet worden.

Winterbach - Als erstes heißt es: Schuhe ausziehen. Nur sockig oder barfuss darf das Reich von Sylvia und Roland Rumig betreten werden. Beim Anblick der strahlend weißen Treppe erklärt sich die Bitte von selbst. Aber halt, diese ist garnicht einmal der empfindlichste Teil des Hauses. Es ist der Boden im ersten Geschoss: „Dieser besteht aus eingeseiften Douglasienbrettern. Wenn ein Kuli vom Tisch runterfällt, sieht man das“, erklärt die Hausherrin. Mehrmals im Jahr pflege ihr Mann hingebungsvoll diese Bretter, die teilweise 15 Meter lang sind und sich über das komplette Stockwerk ziehen. Es ist wahrlich kein geeigneter Ort für Kinder. Aber das sollte das vermutlich ungewöhnlichste Gebäude in Winterbach ja auch nie sein.

 

Bis vor einigen Jahren lebte das Ehepaar Rumig mit seinen drei Kindern in einem ganz normalen Haus in Winterbach. Als einer nach dem anderen flügge wurde, reifte in den beiden ein Entschluss: „Wir wollten in diesen späten Jahren noch einmal neu anfangen. Aber in einem altersgerechten Haus, in dem sich möglichst alles auf einer Ebene befindet“, erzählt Sylvia Rumig. Schließlich stießen sie auf das Grundstück am Sterrenberg, quasi in Winterbacher Halbhöhenlage. „Der Bürgermeister wollte an dieser Stelle ein Highlight haben, weil es das letzte Haus ist“, sagt Sylvia Rumig.

Was ihnen das örtliche Büro Archifaktur vorschlug, war dann tatsächlich ziemlich besonders. Und ist schließlich von der Architektenkammer Baden-Württemberg für Beispielhaftes Bauen ausgezeichnet worden. Zum einen sollte sich das Flachdachhaus in den Hang einfügen – deswegen ist es erdfarben und mit großen Glasfronten versehen. Selbst im Inneren hat man das Gefühl, mitten auf der benachbarten Streuobstwiese zu stehen. „Wir können die Jahreszeiten richtig miterleben – und bis nach Schorndorf blicken“, sagt Sylvia Rumig, die diese Aussichten nicht mehr missen möchte. Aber auch für die Aufteilung im Inneren haben sich die Architekten von der Umgebung inspirieren lassen: „Wir sollten uns das Haus als einen Apfel vorstellen, aus dem jemand Stücke herausgebissen hat“, erzählt die 60-Jährige. Was das konkret bedeutet, erschließt sich beim Rundgang.

Im Wohn- und Essbereich ist zugleich die Küche integriert. Außer einem Arbeitsbereich mit Herdplatten ist davon aber nichts zu sehen – der Rest verbirgt sich hinter der Wand, quasi im Apfelgehäuse. Es geht um die erste Ecke, zum ersten ausgebissenen Stück. In dieser Nische steht das Bett, mit Blick hinaus ins Grüne, in Richtung der aufgehenden Sonne. „Die großen Fenster sind wirklich toll, allerdings haben wir dadurch ein Problem, das wir bisher noch nicht gelöst haben: Es ist einfach zu warm im Haus“, sagt sie. Rolladen gibt es keine, nur schwere Vorhänge. „Da müssen wir uns noch etwas einfallen lassen“, sagt Sylvia Rumig und geht um die nächste Ecke. In der zweiten Nische befindet sich das Bad. Von der Wanne aus kann man über das Remstal nach Rohrbronn schauen. Dahinter ist eine Sauna eingebaut: „Mein Mann hatte drei Wünsche: eine Sauna, einen Kachelofen und einen Weinkeller. Den Rest hat er mir überlassen“, sagt Sylvia Rumig und lacht.

An dieser Stelle ist die Zimmerhöhe mit 2,40 Meter am niedrigsten – im Wohnzimmer ist die Decke etwa vier Meter hoch. Auch dies wurde bewusst so geplant, um damit die privaten Zonen zu betonen. Hinter der nächsten Ecke befindet sich das Zimmer mit der einzigen Tür, die Toilette. Und das gemütliche Kaminzimmer. „Das war dem Architekten eigentlich zu kuschelig. Aber ich brauche das, auch mit meinen vielen Büchern“, sagt Sylvia Rumig, die sich vor dem Umzug im Frühjahr 2011 von vielen Dingen getrennt hat. „Vier Container haben wir gefüllt, weil wir hier einfach wenig Stauraum haben.“ Nur einige Einbauschränke stehen zur Verfügung. Das hat eine erzieherische Wirkung: „Ich war eigentlich immer so ein Eichhörnchen und habe viel gesammelt. Inzwischen kommen nur ganz reduziert einzelne Stücke hinzu“, sagt Sylvia Rumig.

Aber nicht nur in dieser Hinsicht bedeutete der Umzug eine Umstellung. „Man sollte wirklich nur als sehr eingespieltes Ehepaar in ein solches Haus ziehen“, sagt Sylvia Rumig und lacht. „Mittlerweile wache ich morgens nicht mehr auf, wenn mein Mann Zähne putzt“, erzählt sie, die abends mit dem Kopfhörer vor dem Fernseher sitzt, wenn Roland Rumig schon schlafen möchte. Spannend werde es, wenn der 63-Jährige in Rente gehe: „Aber er hat eh vor, oft Golf zu spielen.“ Auch für das hohe Alter hat das Ehepaar vorgesorgt: Im unteren Geschoss befindet sich eine Einliegerwohnung, in die eine Pflegekraft einziehen könnte. Einem Lebensabend im angebissenen Apfel steht also nichts im Wege.