Pelé dagegen war die Strebsamkeit in Person. Seine Eltern waren arm, aber ehrgeizig – der Sohn erfüllte die Erwartungen. Er war sicher auch ein Naturtalent wie Garrincha. Aber er trainierte mit eiserner Disziplin. Rauchen und Saufen kam für ihn nicht infrage. Frauengeschichten für die Klatschblätter gab es erst, als seine Zeit als Aktiver vorüber war.

 

Er wuchs in Bauru auf, einer aufstrebenden Industriestadt im Bundesstaat São Paulo. Der Geist des Aufbruchs damals durchdrang auch Pelés Karriere, sagt die Soziologin Ana Paula da Silva, die gerade ein Buch über ihn publiziert hat: „Aufgrund seiner langen Trainingsjahre als Profispieler erwarb er das nötige kulturelle Kapital, um sich dauerhaft und erfolgreich im brasilianischen Fußball zu halten, der sich damals gerade professionalisierte“.

Tatsächlich ist in Brasilien die Idee des Sports schlechthin eng mit Industrialisierung, Verstädterung, Entwicklung verknüpft. Die Professionalisierung des Fußballs ging mit dem Modernisierungsschub in den Fünfzigern einher: Als Brasilien 1958 Weltmeister wurde, war gerade der Präsidentenpalast in Brasília fertig geworden. Während Garrincha als der von der Natur beschenkte Amateur dasteht, verkörpert Pelé den Geist jener Jahre. Auch weil er schwarz war: dass Brasiliens Rassenmix nichts Minderwertiges, sondern im Gegenteil die Voraussetzung für die künftige Größe der aufstrebenden Nation sei, das war die damalige Doktrin, und Pelés Erfolge schienen sie zu bestätigen.

Und heute? Wen lieben die Brasilianer mehr, wer ist das ewige Idol? Garrincha, den man „a alegria do povo“ nannte, die Freude des Volkes, der mit seinen legendären Dribbelkünsten sich und die Zuschauer erfreuen wollte und dabei in den Abgrund dribbelte – spielerisch, naiv und genial? Oder Pelé, „o rei“, den König, der so viele entscheidende Tore schoss wie kein anderer und sich selbst zur Weltmarke stilisierte – diszipliniert, berechnend und genial?

„Pelé steht vor allem für Sieg, Garrincha symbolisiert das Spielen um des Vergnügens willen“, meint der britische Fußballjournalist Alex Bellos, „Brasilien ist kein Land der Sieger, sondern ein Land, in dem die Menschen sich gerne vergnügen“. Falsch, hält der deutsche Fussball-Experte Martin Curi dagegen: Für Verlierer habe das heutige Brasilien nicht viel übrig, der Siegertyp entspreche dem Ideal.

„Auf diesem Platz hier hat er immer gespielt, und in diesen Wäldern hat er Vögel gefangen“, erzählen sie bereitwillig in Pau Grande, einer Siedlung, die sich um die ehemalige Textilfabrik gruppiert, in der Garrincha angestellt war. Trotz seiner Beine – das rechte war sechs Zentimeter kürzer, krumm waren sie beide – spielte er in der Betriebsmannschaft wie der Teufel; deshalb tolerierte die Fabrik seine Disziplinlosigkeiten. Als 19-Jähriger musste er die 16-jährige, geschwängerte Nair heiraten, die ihm dann acht Töchter gebar.

Die Töchter sind „sehr komplizierte Menschen“

Süße, schwarze Mädchen in weißen Kleidchen, die die Pressefotografen gerne knipsten, als ihr Papa zum Nationalidol aufgestiegen war. Heute, sagen sie in Pau Grande, sind die Töchter „sehr komplizierte Menschen“, jedenfalls die drei der noch lebenden fünf, die das Dorf nicht verlassen haben. Zum Beispiel Denizia, 1959 geboren, die sich mit ihrem Mann nicht über das Alter des erwachsenen Sohns einigen kann – 28 oder 38 – , der mit ihnen und drei anderen in einer verwahrlosten, winzigen Dreizimmerwohnung lebt: Ja, ich hab‘ meinen Vater gesehen, als er bei Botafogo spielte. Ja, er hat mich aufgezogen. Ja, er war sehr lustig. Ja, er war ein guter Vater. Ja, er hat für uns gesorgt.

Das stimmt alles nicht. Denizia verlangt Geld für das Interview, und dafür erzählt sie das, was sie meint, dass man hören will. Garrincha war alles andere als ein guter Vater. Er verließ Nair und die Töchter 1963, zog mit der berühmten Sängerin Elza Soares zusammen, Nairs Anwälte ließen sein Gehalt pfänden. Und als sein Stern zu sinken begann – er hätte 1962 der Knie wegen eine Pause machen müssen – , ging es auch privat bergab mit ihm. Weil er die Familie verließ, wurde er vom Idol zur Hassfigur. Elza und er tauchten eine Zeit lang in Italien unter, wo man ihn aus Gnade und Barmherzigkeit zum Botschafter des brasilianischen Kaffees ernannte. Aber als er gefragt wurde, ob der wirklich so gut sei, antwortete er, er trinke immer nur Schnaps. Die Ehe mit Elza scheiterte in Streit und Schlägen. Obwohl Botafogo, sein Verein, oft Entziehungskuren zahlte, starb er mit 49 an Leberzirrhose.

Pelé hat das Schicksal mit seinem Ehrgeiz bezwungen

Pelé dagegen war die Strebsamkeit in Person. Seine Eltern waren arm, aber ehrgeizig – der Sohn erfüllte die Erwartungen. Er war sicher auch ein Naturtalent wie Garrincha. Aber er trainierte mit eiserner Disziplin. Rauchen und Saufen kam für ihn nicht infrage. Frauengeschichten für die Klatschblätter gab es erst, als seine Zeit als Aktiver vorüber war.

Er wuchs in Bauru auf, einer aufstrebenden Industriestadt im Bundesstaat São Paulo. Der Geist des Aufbruchs damals durchdrang auch Pelés Karriere, sagt die Soziologin Ana Paula da Silva, die gerade ein Buch über ihn publiziert hat: „Aufgrund seiner langen Trainingsjahre als Profispieler erwarb er das nötige kulturelle Kapital, um sich dauerhaft und erfolgreich im brasilianischen Fußball zu halten, der sich damals gerade professionalisierte“.

Tatsächlich ist in Brasilien die Idee des Sports schlechthin eng mit Industrialisierung, Verstädterung, Entwicklung verknüpft. Die Professionalisierung des Fußballs ging mit dem Modernisierungsschub in den Fünfzigern einher: Als Brasilien 1958 Weltmeister wurde, war gerade der Präsidentenpalast in Brasília fertig geworden. Während Garrincha als der von der Natur beschenkte Amateur dasteht, verkörpert Pelé den Geist jener Jahre. Auch weil er schwarz war: dass Brasiliens Rassenmix nichts Minderwertiges, sondern im Gegenteil die Voraussetzung für die künftige Größe der aufstrebenden Nation sei, das war die damalige Doktrin, und Pelés Erfolge schienen sie zu bestätigen.

Und heute? Wen lieben die Brasilianer mehr, wer ist das ewige Idol? Garrincha, den man „a alegria do povo“ nannte, die Freude des Volkes, der mit seinen legendären Dribbelkünsten sich und die Zuschauer erfreuen wollte und dabei in den Abgrund dribbelte – spielerisch, naiv und genial? Oder Pelé, „o rei“, den König, der so viele entscheidende Tore schoss wie kein anderer und sich selbst zur Weltmarke stilisierte – diszipliniert, berechnend und genial?

„Pelé steht vor allem für Sieg, Garrincha symbolisiert das Spielen um des Vergnügens willen“, meint der britische Fußballjournalist Alex Bellos, „Brasilien ist kein Land der Sieger, sondern ein Land, in dem die Menschen sich gerne vergnügen“. Falsch, hält der deutsche Fussball-Experte Martin Curi dagegen: Für Verlierer habe das heutige Brasilien nicht viel übrig, der Siegertyp entspreche dem Ideal.

Wer hat recht? „Beide“, sagt der Sportsoziologe Marco Santoro, denn von der Gegenwart hänge die Interpretation der Vergangenheit ab. Wer also das Ideal des modernen, disziplinierten Brasilien im Herzen trage, verehre Pelé, und die die Romantiker, die sich nach dem unverdorbenen Naturtalent sehnen, glorifizierten eben den Anti-Pelé Garrincha.

Jenseits solcher Personifizierungen sei allerdings die Romantisierung Brasiliens als liebenswert chaotisches Land aus der Mode gekommen. „Früher haben wir einen gewissen Stolz gepflegt, uns immer irgendwie durchwurschteln zu können“, sagt Marco Santoro, „aber die miserable Vorbereitung auf die WM zeigt ein Brasilien, das nicht funktioniert, und das kommt gar nicht mehr gut an.“