Jürgen Katz. Foto: privat
Der fürs Bauen zuständige Beigeordnete Jürgen Katz kündigt an, dass typische Einfamilienhaus-Gegenden Geschichte sind.

Herr Katz, warum ist Nachverdichtung so wichtig?

Wir haben in der Region Stuttgart – und zu der zähle ich Weil der Stadt – einen echten Bedarf an Wohnungen, insbesondere beim bezahlbaren Wohnen. Zum anderen nehme ich das Primat der Landesregierung – nämlich Innenentwicklung vor Außenentwicklung – ernst. Wir bekommen dadurch zusätzlichen Wohnraum, ohne neue Straßen und Versorgungsleitungen bauen zu müssen, weil ja die bestehende Infrastruktur genutzt werden kann.

Was heißt Nachverdichtung eigentlich?

Wir haben in der Region Stuttgart – und zu der zähle ich Weil der Stadt – einen echten Bedarf an Wohnungen, insbesondere beim bezahlbaren Wohnen. Zum anderen nehme ich das Primat der Landesregierung – nämlich Innenentwicklung vor Außenentwicklung – ernst. Wir bekommen dadurch zusätzlichen Wohnraum, ohne neue Straßen und Versorgungsleitungen bauen zu müssen, weil ja die bestehende Infrastruktur genutzt werden kann.

Was heißt Nachverdichtung eigentlich?

Vom Mark Twain stammt der schöne Satz: Kaufen Sie Land, es wird keines mehr gemacht. Da ist viel Wahres dran: Grundstücke sind eine endliche Ressource. Es gibt sehr große Grundstücke, wo pro Quadratmeter relativ wenig Haus drauf steht. Wenn wir dafür heute einen Bebauungsplan erstellen würden, würden wir dort mehr Dichte zulassen.

Das heißt, so viel Wohnraum wie möglich?

Nein, wir müssen das mit Augenmaß machen. Nicht jede Baulücke verträgt die Kubatur, die sich ein Projektentwickler gerne vorstellt. Aber wir brauchen schon mehr Dichte, als das in den 70er und 80er-Jahren üblich war.

Wie sehen Sie da Weil der Stadt im Vergleich zu anderen Städten aufgestellt?

Das ist kein spezielles Weil der Städter Problem – hier ist die Situation nicht anders als anderswo. Vor 30 oder 40 Jahren war der Mangel an Wohnraum nicht so groß, daher konnte man es sich leisten, lockerer zu bauen. Aus dieser Zeit stammt der eher ländliche Charakter von Weil der Stadt, den wir unbedingt erhalten sollten. Es gibt auch weiterhin einen Unterschied zwischen dem Stuttgarter Westen und Weil der Stadt.

Die Menschen haben Ängste, dass jeder grüne Quadratmeter zubetoniert wird.

Die Ängste müssen wir ernst nehmen, die sind ja auch nicht unberechtigt. Es gibt ja auch genügend Fehlentwicklungen, wo man sich auf einen harten Nachverdichtungsweg gemacht hat und das Augenmaß verloren gegangen ist. Das sehe ich in Weil der Stadt nicht.

Zum Beispiel?

Ich will nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Riesige Hochhäuser wird es in Weil der Stadt aber nicht geben.

Die Stadt selbst ist ja nicht im Besitz von Grundstücken. Was können Sie dennoch unternehmen, damit die Stadt dichter wird?

Der klassische Fall ist der, dass eine ältere Dame ihr großes Haus mit dem großzügigen Garten verlässt und ins Altenheim oder zu einem ihrer Kinder zieht. Die Kinder selbst haben kein Interesse am dem Objekt und bringen es dann auf den Markt. Und dann schauen sich die Bauträger in der Regel eher das Grundstück an. Man kauft heute kein Haus mit einem Grundstück, sondern ein Grundstück, auf dem ein Haus drauf steht. Dann kommen wir ins Spiel.

Inwiefern?

Die Stadt wird dann gefragt, welche Bebauung wir genehmigen würden. Unser Bauamt versucht, das richtige Maß zu finden. Wenn das Grundstück oder mehrere zusammen groß genug sind, wird dann ein neuer Bebauungsplan erlassen. Andernfalls ist die Umgebungsbebauung der Maßstab.

Das heißt, Ihr Bauamt genehmigt heute größere Objekte, als noch vor 20 Jahren?

Genau, wir schauen, was in die Stadtstruktur passt. Dann kann man zum Beispiel ein Doppelhaus bauen, wo vorher nur ein Einfamilienhaus stand.

Im Waldenberg-Wirschig hat der Gemeinderat den ganzen Bebauungsplan überarbeiten lassen. Wie finden Sie das?

Man hat sich da sehr viele Gedanken gemacht. Baurechtlich gesehen wurde die Dichte nicht erhöht, sondern an die Umgebung angepasst. Es wurden die Baufenster etwas vergrößert und mehr Dachformen zugelassen. Aber ich gebe zu: über Gestaltung kann man immer streiten.

Sichtbar wird das jetzt bei dem Projekt in der Hindenburgstraße. Das finden Sie gut und richtig so?

Ich finde es angemessen. Man muss warten, bis das Projekt fertig ist. Im Bau sehen die Objekte immer härter aus.

Bisher war der Galgenberg eine typische Einfamilienhaus-Gegend. Das gehört also der Vergangenheit an?

Im verdichteten, städtischen Wohnbereich wird es das sicherlich nicht mehr geben. Das sehen Sie auch beim Häugern, wo wir teilweise Geschosswohnungsbau planen. Vor 20 Jahren wäre dieses Neubaugebiet ein klassisches Einfamilienhaus-Gebiet geworden. Das ist nicht mehr zeitgemäß.

Wie sieht es mit dem Leerstand in Weil der Stadt aus?

Da sind unsere Einflussnahme-Möglichkeiten begrenzt. Wir bauen derzeit ein Leerstands-Management auf, damit wir Menschen, die Wohnraum suchen, und Menschen, die haben, zusammenbringen können. Ich würde mir auch wünschen, dass wieder mehr Einliegerwohnungen vermietet werden. Jeder kennt irgendeine Gräuel-Geschichte mit einem Mietnomaden, und sagt dann: das tue ich mir nicht mehr an. Da würde ich mir mehr Sozialverpflichtung des Eigentums wünschen.

Auch der Tübinger OB sagt: Eigentum verpflichtet. Boris Palmer will notfalls an die Eigentümer von Baulücken Baugebote aussprechen. Planen Sie das auch?

Im Augenblick sicher nicht. In der Grundaussage, dass Eigentum verpflichtet, stimme ich Herrn Palmer zu. Zwangsmaßnahmen sind aus meiner Sicht aber immer die Ultima Ratio. Als ich vor langer Zeit ein Buch über städtebauliche Sanierungsmaßnahmen geschrieben habe, hatte ich händeringend ein Beispiel gesucht, wo ein Baugebot ausgesprochen wurde. Das gibt es bisher nicht. Daran sehen Sie, wie hoch die rechtlichen Hürden sind. Darum schaue ich mir gerne an, was Herr Palmer macht.

Kontra: Der Anwohner Karl-Heinz Engesser

Karl-Heinz Engesser Foto: factum/Weise
Karl-Heinz Engesser fühlt sich betrogen und vernachlässigt. Er selbst habe nicht so dicht bauen dürfen.

Herr Engesser, was stört Sie an der neuen Bebauung in der Hindenburgstraße?

Für mich sind das monströse Bauwerke, die den ursprünglichen Flair der schönen Kepler-Stadt ruinieren. Da wurde wirklich jeder Zentimeter ausgenutzt, man sieht keinen grünen Grashalm mehr. Sie müssen nur hören, was Leute uns sagen, die hier vorbeigehen: Das ist doch der Hammer! Ich habe hier in einer Einfamilienhaus-Gegend gewohnt – jetzt hat man mich in eine Reihenhaus-Siedlung verpflanzt.

Was befürchten Sie?

Was ist mit dem sozialen Miteinander? Streitereien wegen mangelnden Parkplätzen sind schon programmiert – jeder bekommt ja schließlich auch Besuch. Keinerlei Distanz zum Nachbarn führt zwangsweise zum Streit.

Möglich wurde das mit dem neuen Bebauungsplan, den der Gemeinderat vor zwei Jahren für das Gebiet Waldenberg-Wirschig beschlossen hat.

Mit diesem Bebauungsplan wurde die ortstypische Bebauung ausgehebelt. Jetzt sieht man an diesem Projekt, was das bedeutet. Dass man nämlich alles zubetoniert. Jetzt kann jeder Bauträger die Gegend ausmosten. 26 Parteien auf einem Gelände unterzubringen, wo früher drei Häuser mit schönem Garten gebaut worden wären, ist zwar kein Hochhaus-Bau, aber diese einheitlich hässlichen weißen Betonbunker verändern das Stadtbild, das bisher von kleineren Wohneinheiten geprägt war, auf eine massive und sehr unschöne Art und Weise. Bald haben die Städte dann keinen Eigencharakter mehr, sondern nur noch diesen Einheitsanblick.

Wie haben Sie und Ihre Nachbarn damals auf die Bebauungsplanänderung reagiert?

Man hat vielen hier erzählt, dass ihre Grundstücke im Wert steigen, weil die Baufenster vergrößert werden. So hat man uns an unseren eigenen Interessen gepackt. Jetzt zeigt sich aber: diese Gegend hier verliert ihren Charakter, unsere Grundstücke werden weniger wert. Es geht hier auch um finanzielle Verluste. Gegen die Änderung des Bebauungsplanes wurden sehr viele Einwände erhoben, die von der Stadt aber nicht hinreichend berücksichtigt wurden.

Aber mit mehr Nachverdichtung spart man sich Neubaugebiete auf der grünen Wiese. Und Menschen in Neubaugebieten wohnen auch so dicht beieinander.

In Neubaugebiete ziehen die Leute freiwillig, sie haben die freie Wahl. Hier aber belastet man die Alteingesessenen, die damals von dem alten Bebauungsplan stark reglementiert wurden. Hier durften Sie ja nicht einmal ein Flachdach bauen. Und jetzt das in der Nachbarschaft: das nenne ich Enteignung. Dazu kommt, dass Leute hierher gezogen sind und viel Geld bezahlt haben. Die würden das unter den heutigen Voraussetzungen nicht mehr tun.

Es gibt aber einen großen Mangel an Wohnungen hier in der Region.

Das ist das Ergebnis misslungener Raumplanung. Bosch baut hier sein Forschungszentrum in eine Gegend, die ohnehin schon knallvoll ist. Wir haben hier zu viele Arbeitsplätze, gleichzeitig blutet der Osten Deutschlands aus und muss wieder über Finanztransferzahlungen gestützt werden. Da unternimmt die Politik viel zu wenig.

Der Investor wirbt damit, dass er Wohnungen baut, die einigermaßen bezahlbar seien.

Für Familien mit einem normalen Einkommen sind diese Wohnungen doch kaum erschwinglich. Ich glaube eher, dass es hier um Kapitalanlage geht. Diese Wohnungen dienen als willkommenes Spekulationsobjekt und die Stadt fördert dies über die Änderung des Bebauungsplanes.

Der Bürgermeister Thilo Schreiber war beim Richtfest und hat das Projekt als „gelungene Nachverdichtung“ gelobt.

Wie man hier von gelungener Nachverdichtung reden kann... Ich verstehe das eher als Verhöhnung. Gelungen ist der Stadt schon etwas, doch die Orientierung an Renningen mit seinen riesigen Neubaugebieten ist nicht zielführend. Renningen hat aber eben auch den Platz, dort mag das richtig sein. Weil der Stadt hat dagegen eine wunderschöne Altstadt und eine herrliche Umgebung – das sollte man nicht ruinieren. Man nimmt in Weil der Stadt auf die Alteingesessenen aber offensichtlich keine Rücksicht. Sie mussten sich in dem Gebiet ihr Bauland sehr teuer erkaufen – wesentlich teurer als etwa im Schießrain – und werden nun mit unerträglich dichter Bebauung und monströsen Betonbunkern bestraft. Schließlich ist es ja genau dieses gut verdienende Klientel, das die meisten Steuern zahlt. Es kommen viele Menschen vorbei, die kopfschüttelnd stehen bleiben und sich sehr negativ über diese Bebauung äußern. Gesprochen wird von Beton-Bunkern oder von Weil der Stadts neuer Skyline.

Wie wehren Sie sich gegen den Vorwurf, nur aufgrund persönlicher Betroffenheit zu handeln?

Ich setze auf Sachargumente. Der Waldenberg-Wirschig ist die Frischluftschneise für Weil der Stadt, die jetzt blockiert ist. Diese zu enge Bebauung ist also auch ein Angriff auf das Stadtklima – wenn denn die Klimaerwärmung Weil der Stadt wirklich treffen sollte. Bereits jetzt gibt es in vielen Teilen der Stadt massive Probleme durch die enge Bebauung und fehlende Parkplätze. Die übermäßige Nachverdichtung wird dafür sorgen, dass die Menschen mehr Konflikte miteinander haben und sich nicht mehr genügend erholen können.

Was wollen Sie jetzt noch erreichen?

Für uns hier ist die Sache gelaufen, das ist klar. Ich will aber den Leuten die Augen öffnen. Der neue Beigeordnete Jürgen Katz ist zur massiven Verdichtung entschlossen. Diese neuen Betonbunker werden künftig überall gebaut, wo Menschen gezwungenermaßen ihr Häusle verkaufen. Ein solcher Monster-Bau kann in Zukunft jeden treffen.