Die Stadt will Druck auf Eigentümer ausüben, die Baugrundstücke brachliegen lassen. Die Betroffenen haben eine 15 Jahre alte Vereinbarung gebrochen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Das Angebot trägt den Namen Wohnbauplatzbörse und ist so kostenlos wie unbeliebt: „Hier können innerörtliche unbebaute Grundstücke angeboten werden.“ So lässt es die Stadt Herrenberg auf ihrer entsprechenden Internetseite wissen. Wer bauen möchte, findet in der Börse den Boden für sein Eigenheim. Wer nicht bauen möchte, findet den Käufer für seine Brache – soweit die Theorie. In der Praxis ist kein einziger Quadratmeter im Angebot, widersinnigerweise, denn Baubrachen sichtet das Stadtplanungsamt allerorten in Herrenberg.

 

Diese Börse soll sich füllen, im Zweifel unter Zwang. Denn „wir machen Baugebiete ja nicht, damit Grundstücke frei bleiben. Das ist ein Ärgernis.“ So sagt es Bodo Philipsen von der SPD im Gemeinderat, und darüber herrscht im Grundsatz über alle Parteigrenzen hinweg Einigkeit unter den Stadträten. Wer in einem Baugebiet nicht bauen will, der möge an Bauwillige verkaufen. Abgesehen von der optischen Wirkung von Brachen, finanziert schließlich die Gemeinschaft die Infrastruktur und damit auch Kanalrohre oder Stromleitungen, die nutzlos herumliegen. Dies „teilweise schon seit 30, 40 Jahren“, wie der SPD-Veteran Günter Achilles anmerkt. In Zeiten der Wohnungsnot darf es so nicht weitergehen. Dies ist einhellige Meinung im Gemeinderat wie in der Rathausspitze. Mithin soll Druck ausgeübt werden.

Die Eigentümer hatten sich verpflichtet, binnen 15 Jahren zu bauen

Was „für die Eigentümer ja nicht aus heiterem Himmel kommt“, wie der Freie Wähler Thomas Deines sagt. In der Tat hat die Stadt die Betroffenen schon vor 15 Jahren vertraglich verpflichtet, bis 2017 mit dem Bauen zu beginnen. Vor vier Jahren hatte der Gemeinderat diese Verpflichtung anmahnen lassen – mit mäßigem Erfolg. Damals klafften 59 Baulücken. Inzwischen stehen auf 22 von ihnen Häuser. Rathaus-Mitarbeiter sprachen seinerzeit mit allen Betroffenen und hielten fest, dass die Gründe für Bauunwilligkeit „sehr unterschiedlich“ gewesen seien, aber offenkundig spielt sogar die Politik der Europäischen Zentralbank eine gewichtige Rolle. In Zeiten der Nullverzinsung halten Eigentümer Grund und Boden schlicht für eine lohnenswerte Geldanlage.

Wie in Herrenberg üblich, soll auch der künftige Druck ein sanfter sein. Wie sanft, ist noch umstritten. Der Gemeinderat hat das Thema jüngst vertagt. Zumindest vereinzelt wurden zuvor Stimmen nach einer Verschärfung laut, wie die des Grünen Jörn Gutbier: „Warum wir nach 15 Jahren die Frist noch einmal um drei Jahre verlängern sollen, ist grundsätzlich nicht nachvollziehbar“, sagte er. Jene drei Jahre sollen nach dem Willen der Rathausoberen für Eigentümer gelten, die glaubhaft machen können, dass innerhalb dieser Zeit Familienangehörige mit dem Bau beginnen werden. Ein Jahr Übergangszeit soll gewährt bekommen, wer seinen Boden in der Bauplatzbörse anbietet oder einen Vertrag in Erbbaurecht unterschreibt. Gleichsam enteignet werden sollen diejenigen, die sich hartnäckig weigern, ihr Eigentum zu nutzen oder zu verkaufen. In solchen Fällen will die Stadt ihr Ankaufsrecht geltend machen und zwar umgehend.

Verbunden ist das Vorhaben mit dem Angebot, den Verkaufserlös gewinnbringend vor Ort anzulegen. An etlichen Stellen in der Stadt sollen in den nächsten Jahren neue Quartiere entstehen. Dort können die betroffenen Eigentümer in das sogenannte Betongold investieren, selbstredend bei entsprechender Verzinsung.

Das Vorhaben ist verknüpft mit dem Angebot einer Geldanlage

Was bei genauerer Betrachtung zumindest diejenigen überzeugen könnte, die ihre Brachen in der Hoffnung auf Preissteigerungen halten. Die sind in Herrenberg keineswegs gewiss, jedenfalls für Wohnbaufläche. Deren Quadratmeterpreis ist zwar in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, hat aber gerade erst wieder das Niveau von 2002 erreicht. So ist es im städtischen Grundstücksmarktbericht 2017 vermerkt. Mithin hat, wer vor 15 Jahren kaufte, sein Geld mit null Prozent verzinst.