Wenn es eng wird für Christian Wulff, dann tritt Gernot Lehr auf den Plan. Der Anwalt hat eine Schlüsselfunktion in der Affäre um den Bundespräsidenten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Manchmal verraten ein paar Sekunden, was von einem Menschen zu erwarten ist. Solche Momente hat auch Gernot Lehr. Er vertritt Christian Wulff in der Staatsaffäre Nummer eins.

 

Am Montag vor Weihnachten gewährte der Anwalt Einblick in Wulffs Kreditunterlagen. Er empfing die Journalisten persönlich in der Berliner Dependance seiner Kanzlei. Lehr ist ein sehr freundlicher, verbindlicher Mensch, der auf den ersten Blick eher unscheinbar, ja harmlos wirkt. Er könnte auch Kirchengemeinderat oder ein Kanzleibeamter sein. Aber seine Rolle ist unschätzbar für den ersten Mann im Staate - auch wenn diese Rolle in der Verfassung nicht vorgesehen ist.

Auf einem Konferenztisch waren sechs graue Aktenordner ausgebreitet. Ein Fernsehteam filmte, wie sie inspiziert wurden. Tonaufnahmen hatte Lehr ausdrücklich untersagt. Als er im Zwiegespräch die Unterlagen erläuterte, machte er die Kameraleute noch einmal darauf aufmerksam, dass sie ihre Mikrofone ausgeschaltet lassen müssten. Sie reagierten nicht gleich, da herrschte er sie an: "Ich gehe davon aus, dass wir uns verstanden haben."

Lehr hat schon viele Politiker vertreten

Die Bemerkung rauschte wie ein Schwerthieb über den Tisch hinweg. Lehr ist Wulffs schärfstes Schwert in diesen Tagen. Wenn es eng wird für den Präsidenten, dann lässt er seinen Advokaten sprechen. Lehr agiert wie ein menschliches Schutzschild, wie ein Prellbock, wie eine Art Verteidigungsminister des Staatsoberhaupts.

Der 54-jährige Jurist hat durchaus Übung in solchen heiklen Fällen. Wulff ist nicht der erste Präsident, den er verteidigt. Im Jahr 2000 manövrierte er den damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau durch eine ähnlich brisante Affäre. Damals ging es um Flüge auf Kosten der WestLB. Zudem vertrat Lehr die Bundestagspräsidenten Rita Süßmuth und Wolfgang Thierse. Die CDU-Frau hatte sich des Vorwurfs zu erwehren, sie habe die Flugbereitschaft der Bundeswehr privat genutzt.

Der bärtige Sozialdemokrat holte sich Rat, als auf den Toiletten des Bundestags angeblich Kokainspuren gefunden wurden. Die Bonner Sozietät Redeker Sellner Dahs, für die Lehr seit 24 Jahren arbeitet, hat eine lange Liste von Referenzen vorzuweisen. Sie vertrat den früheren Kanzler Kohl in der Flick-Affäre und danach zahlreiche Politiker unterschiedlicher Couleur: von Kurt Beck bis Stanislaw Tillich.

 Er riet Wulff zu größtmöglicher Transparenz

Ein Gespür für Politik hat der Anwalt des Präsidenten geerbt. Seine Mutter Ursula Lehr war zu Kohls Zeiten Familienministerin. Gernot Lehr studierte in Bonn und München, seit 1987 praktiziert er als Rechtsanwalt. Er ist Experte für Medienrecht. Unter anderem gehört Lehr dem Vorstand des in Stuttgart ansässigen Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit an, dem sogenannten Löffler-Kreis - benannt nach Martin Löffler, einem der Pioniere dieser Disziplin.

Mehr als 500 Fragen zu Wulffs Affären hat Lehr inzwischen bearbeitet. Seit dem 16. Dezember, als der prominente Mandant ihn mit dem Fall betraute, hat er viele Stunden in Schloss Bellevue zugebracht. "Ich werde zu allem möglichen Quatsch gefragt", erzählt er. Manchmal kämen die Mails mit neuen Anfragen "im Minutentakt". Die Geschwindigkeit und die Quantität dieser Anfragen hätten ihn zu Beginn seines aktuellen Jobs durchaus überrascht. Er habe Wulff stets zu größtmöglicher Transparenz geraten, damit aber "offene Türen eingerannt". Auch vermeintliche Nebensächlichkeiten müssten offenbart werden.

Lehr sagt: "Die Harmlosigkeit geht manchmal verloren, wenn man die Dinge nicht klar benennt." Dabei verfährt er nach dem Prinzip, die Medien mit Detailinformationen zu überfluten, sofern es um ohnehin bekannte Einzelheiten geht. Bei anderen Fragen gibt sich Lehr verschlossen wie ein Banktresor. Das Ansinnen, die kompletten Auskünfte auf alle Anfragen zu veröffentlichen, hält er für unpraktikabel. Da spricht der Medienrechtler: Im Zweifelsfall müsste er zunächst das Einverständnis aller Journalisten einholen, die recherchiert hatten.

Der Fall Wulff ließ Lehr selbst im Weihnachtsurlaub keine Ruhe. Entspannung findet der zurzeit bedeutendste Jurist der Republik beim Laufen. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, Anfang Juni beim Marathon in Stockholm an den Start zu gehen. Bis dahin, so Lehr, werde ihm aber wohl nicht genügend Zeit zum Training bleiben.