Während sich an zwei Abenden zusammen 15.000 Fans der HipHop-Nostalgie hingeben, kommen im 1. Stock am Donnerstag 15 Anhänger der progressiven Popmusik zusammen. Wer hat das bessere Konzert gesehen?

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - "Früher haben wir abgekotzt, wenn unsere Eltern immer wieder zu irgendwelchen Rockbands auf die Konzerte gegangen sind", sagt am Donnerstag einer im 1. Stock, "heute rennen alle zu Freundeskreis".

 

Ja, das Event am Mercedes-Benz-Museum ist am Donnerstagabend auch in der Stuttgarter Innenstadt ein Thema. Zum einen, weil man sich zumindest als Musiker oder Veranstalter in der Minilocation ärgern kann, dass die Besucherzahl ein Promille dessen ausmacht, was sich an den beiden Abenden für Max Herre und dessen Bühnenkomparsen versammelt. Zum anderen stimmt es ja: das mit den Nostalgieshows wird nie aufhören. Jetzt ist eben die Generation HipHop dran, über deren Kleidungsstil (Baggie Pants!), Sprache (Kiezdeutsch lässt grüßen) und im einen oder anderen Fall Cannabiskonsum sich die Eltern damals, in den Neunzigern, aufregten. So wie Flower Power, Hardrockrebellentum oder die Disco-Ära lässt sich auch mit dieser zweifellos wichtigen und musikalisch wertvollen Zeit retrospektiv weiter arbeiten. Die Freundeskreis-Songs waren und sind gut, nur sie sind inzwischen eben auch zwanzig Jahre alt und neues Material hat das HipHop-Kollektiv nie präsentiert.

Der Auftritt von Yawl und Annagemina ist so gesehen das (natürlich chancenlose) Alternativangebot zu Freundeskreis. Es geht zwar immer noch radikaler, aber bei dem amerikanisch-deutschen Rapduo und den Stuttgarter Progressive-Musikern ist die (an vielen Stellen erfolgreiche) Suche nach neuen Zugängen zu HipHop und elektronischem Pop nicht zu übersehen.

Beide Duos haben auch keine Hits aus alten Tagen aufzuwärmen. Annagemina-Auftritte kriegt man in Stuttgart immer wieder mal zu sehen (so etwa auch diesen Freitag beim empfehlenswerten Gratisfestival All Inclusion im Jugendhaus Mitte), Yawl erinnern stark an den US-Rapper Astronautalis, der im Indiewohnzimmer Stuttgart und der Manufaktur Schorndorf jüngst gleich zwei Auftritte in der Gegend hatte. Und tatsächlich: Der aus Denver stammende Yawl-Rapper Ancient Mith erzählt, er habe Astronautalis vor vielen Jahren schon gebucht; erst 2016 sei man wieder gemeinsam auf der Bühne gestanden. Vielleicht gibt es da noch mehr Musiker, die nach neuen Wegen suchen, HipHop auch für ein Sonst-nicht-zwingend-HipHop-Publikum zu erschließen?

"Hab' ich was verpasst?"

Der Donnerstagabend zeigt die Früchte solcher Mühen. Man kann HipHop oder elektronische Musik mögen oder nicht, von Yawl und Annagemina einen Song gehört haben oder sämtliche Alben - die beiden Auftritte im 1. Stock sind zwar zugänglich (Pop!), aber nie glattpoliert oder so, dass man meint, das alles schon hundertfach gehört zu haben. Und: der basslastige Annagemina-Electropop und der Yawl-Mix aus Rap, Soul und einer sehr kratzigen Rocksängerstimme harmoniert ganz prächtig. Hätte man vorher vielleicht auch nicht gedacht.

Insofern ist man dann doch wieder bei Freundeskreis. Die Gruppe hat Ende der Neunzigerjahre ja auch eine Liveband mit deutschem Sprechgesang zusammengebracht und damit einen Standard gesetzt. 

"Hab' ich hier was verpasst?", fragt eine Endzwanzigerin, die nach dem Freundeskreis-Konzert auf einen Absacker in den 1. Stock gekommen ist. Natürlich hat sie was verpasst. War es das bessere Konzert als Freundeskreis? Schwer zu sagen. Das musikalisch interessantere war es mit hoher Wahrscheinlichkeit.


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