Seit 2004 führt die US-Zeitschrift „Forbes“ Hitlisten der Mächtigen auf dieser Welt. Bei den Frauen liegt Angela Merkel regelmäßig vorne. Dabei ist sie kein Machtmensch im klassischen Sinne. Das Gehabe und die Gesten solcher Leute sind ihr fremd. Sie dominiert, ohne demonstrativ zu führen. „Sie ist so mächtig, weil sie ihre Macht nicht einsetzt“, sagt einer ihrer Biografen. Zu ihren Machtinstrumenten zählt die Bescheidenheit – gerade dann, wenn sie sich überlegen fühlen darf.

 

Der Soziologe Ulrich Beck hat für Merkels Machtstil einen eigenen Begriff geprägt: „Merkiavellismus“ – eine Anspielung auf den Machttheoretiker Machiavelli. Ein charakteristisches Merkmal sei ihre „Neigung zum Nicht-Handeln, Noch-Nicht-Handeln, Später-Handeln, zum Zögern“. Unter Merkel ist Deutschland zu einer Art Zentralmacht in Europa aufgestiegen. Sie verkörpert die Führungsrolle, die daraus erwächst, ohne Großmachtallüren zu entwickeln: eher als Moderator, ehrlicher Makler, Schiedsrichter, Handlungsreisender, Gesprächspartner auch der Machtlosen. Im Ukrainekonflikt überließ US-Präsident Obama ihr das Krisenmanagement. Auch in der aktuellen Flüchtlingskrise fällt ihr dieser Part zu, ohne dass sie ihn wirklich ausfüllen würde. Deutschland redet darüber, mehr Verantwortung in der Welt übernehmen zu wollen, ziert sich aber immer wieder, wenn konkrete Verpflichtungen daraus folgen – zumal, wenn es um militärische Einsätze geht. Merkels Machtpolitik, sofern sie überhaupt erkennbar wird, ist nicht konfrontativ, schon gar nicht aggressiv. Das ist auch eine Art Machtgarantie: Wer selbst nicht zur Attacke neigt, wird selten angegriffen.

Merkel ist die wichtigste Stimme Europas. Sie repräsentiert ein Deutschland, das mehr Verantwortung in der Welt sucht.