Erst die ,,Frankfurter Rundschau“ – und dann? Die Zeitungen sind in der Krise. Aber dass guter Journalismus Geld kostet, werden die Leser spätestens dann merken, wenn sie auch für Online-Angebote zahlen müssen.

Stuttgart - In diesen Tagen, in denen die Insolvenz der traditionsreichen „Frankfurter Rundschau“ Verlagsmanagern wie Journalisten neue Sorgenfalten ins Gesicht schreibt, meldete sich der gebürtige Stuttgarter Wolfgang Blau zu Wort. Blau ist zurzeit noch Chefredakteur von „Zeit online“ und gilt einigen als digitaler Vordenker der Branche. Er machte sich in einem wenige Zeilen langen Eintrag auf Facebook Gedanken über die Gründe für den Niedergang der Tagespresse. „Das inzwischen fragliche journalistische Konstrukt namens Tageszeitung wird selbst jedoch äußerst selten als Grund genannt“, klagt er darin. Blau beließ es leider bei dieser orakelhaften Bemerkung. Was er mit dem „journalistischen Konstrukt namens Tageszeitung“ meint und was daran fraglich geworden sei, erfuhr der Leser nicht. Dennoch erntete er von vielen seiner Facebook-Freunde zustimmende Kommentare. 426 Personen gefiel Blaus Bemerkung.

 

Dieser winzige Beitrag im Mahlstrom der großen Zeitungskrise ist inzwischen typisch für die Art, in der die Diskussion um die Zukunft des gedruckten Worts geführt wird. Geprägt wird sie von wenigen Printjournalisten, die unbeirrt an der Vorrangstellung von Papiermedien festhalten (ein paar davon sitzen übrigens in der Printredaktion der „Zeit“), und einigen Online-Vertretern, die glauben, ein bisschen Twittern mache sie bereits zur digitalen Avantgarde. Die Fakten scheinen dabei auf den ersten Blick für die Onliner zu sprechen: 1993 waren im wiedervereinigten Deutschland rund 1600 Tageszeitungstitel in einer Auflage von insgesamt fast 26 Millionen Exemplaren erschienen. In diesem Jahr sind es 1532 Titel mit einer Auflage von 18,4 Millionen. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl sogenannter publizistischer Einheiten um sieben. Mit diesem Begriff werden eigenständige Zeitungen mit eigener Politik-, Wirtschafts- und Kulturredaktion bezeichnet. Die meisten Experten rechnen mit weiteren Zeitungsschließungen. So ist das Wirtschaftsblatt „Financial Times Deutschland“ bedroht. Gerüchten zufolge könnte der Verlag Gruner & Jahr schon in der kommenden Woche das Aus verkünden.

Noch schreiben die Verlage ordentliche Gewinne

Als noch bedrohlicher für die Existenz der Tageszeitungen erweist sich ihr sinkender Anteil am Werbemarkt. 1990 landete noch jede dritte D-Mark, die für Werbung ausgegeben wurde, bei den Zeitungsverlagen, heute ist es noch nur noch knapp jeder fünfte Euro. Zugleich hat der Online-Werbemarkt vor zwei Jahren die Tageszeitungen überholt und konnte trotz abgeschwächter Konjunktur im ersten Halbjahr dieses Jahres erneut um etwa zwölf Prozent wachsen.

Die meisten deutschen Zeitungsverlage schreiben allerdings noch immer ordentliche Gewinne, wenngleich sie in der Regel deutlich unter den Zahlen liegen, die um die Jahrtausendwende erreicht worden waren. Damals hatte ein Anzeigenboom im Zuge der ersten Internetblase die Zeitungsexemplare backsteindick werden lassen. Anzeigenabteilungen mussten potenziellen Kunden absagen, weil die Blätter sonst nicht mehr in die Briefkästen gepasst hätten. Solche Zeiten, darin sind sich alle Experten einig, sind für immer vorbei.

Im Kontrast zu den wirtschaftlichen Problemen der Tageszeitungen stehen deren weiterhin hohe gesellschaftliche Bedeutung und die Glaubwürdigkeit bei den Lesern. So lesen neun von zehn Politikern morgens die regionale Tageszeitung, acht von zehn Führungskräften im Kultursektor und sieben von zehn Topmanagern, so eine repräsentative Umfrage des Zeitungsverlegerverbands. Insgesamt erreichen die Zeitungen noch rund zwei Drittel der Deutschen – und werden von diesem Teil der Bevölkerung hoch geschätzt. Nahezu alle Leser sind der Ansicht, dass ihr Blatt eine wichtige Rolle in der Region spiele, und 94 Prozent schätzen seine Glaubwürdigkeit. Angesichts solcher Zahlen stört sich der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen am „selbstreflexiven Negativismus“ der Branche. „Damit meine ich eine defätistische Haltung, die nur noch in Weltuntergangsszenarien denkt. Verleger wie Journalisten scheinen sich in diesen Erwartungen des drohenden Untergangs überbieten zu wollen. Diese angstgeprägte Stimmung wirkt sich mit Sicherheit nicht positiv auf die Kreativität aus“, so der Inhaber des Lehrstuhls für Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt Print- und Onlinemedien. Pörksen plädiert stattdessen für mehr Selbstbewusstsein: „Viele Journalisten machen gute Arbeit, und sie können stolz darauf sein. Das muss man nicht verstecken, indem man immer nur auf ein paar großsprecherische Nasen im Internet verweist. Aus einem angemessenen Selbstbewusstsein erwächst neue Kraft.“

Wenn die Bezahlschranke fällt

Wie berechtigt ein solches Selbstbewusstsein ist, welchen Wert die Gesellschaft und die Leser den Leistungen der Journalisten wirklich beimessen, wird in den kommenden Monaten deutlich werden – dann nämlich, wenn die Nutzer für immer mehr Online-Inhalte ebenso bezahlen sollen wie für ihre gedruckte Zeitung. Neun von zehn Managern deutscher Zeitungsverlage rechnen einer Umfrage der Fachzeitschrift „Horizont“ zufolge damit, dass sich recht bald Bezahlschranken durchsetzen werden, also kostenpflichtige Online-Inhalte. Am Erfolg versprechendsten ist dabei das Modell der „New York Times“. Dort können Leser zehn Artikel pro Monat kostenlos lesen. Wer sich für mehr interessiert, muss für ein Abo bezahlen. In Deutschland will sich unter anderem der Springer-Verlag mit dem Online-Auftritt der Tageszeitung „Die Welt“ im kommenden Jahr an diesem Modell orientieren. Die „Frankfurter Allgemeine“ und einige Regionalverlage planen ähnliches. Die „Neue Zürcher Zeitung“ hat die Bezahlschranke Anfang Oktober heruntergelassen, was für die Redaktion zu neuen Prioritäten führt. „Das Erstprodukt ist der digitale Kanal, und wir machen nebenbei auch noch eine hervorragende Zeitung. Das war früher umgekehrt“, erklärte der Chefredakteur Markus Spillmann in einem Interview mit dem Branchendienst „Kressreport“.

Der deutsche Marktführer „Spiegel-Online“ hingegen will laut Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron von Bezahlschranken bislang nichts wissen, ebenso wenig wie Wolfgang Blau von „Zeit-Online“. Blau allerdings könnte seine Meinung bald ändern. Im April übernimmt er den Posten des Geschäftsführers für digitale Strategien beim Verlag des britischen „Guardian“. Dessen Redaktion macht seit Jahren den nach Ansicht von Experten besten Online-Journalismus der Welt. Ebenso lange schreibt der Verlag rote Zahlen. Einen erheblichen Anteil der Einnahmen aus dem Digital-Geschäft erwirtschaftet zurzeit dessen Kennenlern-Portal „Guardian Soulmates“. Der neue Geschäftsführer muss also entscheiden, ob er die Qualität des Journalismus beim „Guardian“ auch in Zukunft vom Online-Liebeswerben der Briten abhängig machen will.