Altersarmut ist in der Statistik noch ein seltenes Phänomen. Doch Experten und Politiker sind sich einig: in den nächsten zwanzig Jahren wird sie zum gravierenden Problem. Besonders Frauen werden davon betroffen sein.

Berlin - Noch sind die Zahlen in den Sozialberichten eine Randnotiz. In Hamburg ist die Zahl der älteren Menschen, die auf die staatliche Grundsicherung angewiesen sind, 2011 um sechs Prozent gestiegen. Eine ähnliche Entwicklung verzeichnet Bayern. Auch in Stuttgart hat sich die Zahl der bedürftigen Rentner erhöht, und zwar seit 2005 um knapp ein Viertel. Für Städte, Gemeinden und Sozialministerien ist das allerdings noch kein Grund, Alarm zu schlagen. Noch immer ist Altersarmut in der Statistik ein seltenes Phänomen. In Deutschland sind 2,4 Prozent der über 65-Jährigen auf die staatliche Grundsicherung im Alter angewiesen – das sind 400 000 Menschen. Nach Darstellung des Bundessozialministeriums ist die Quote im Vergleich zu allen Rentnern seit 2007 gleichgeblieben. Dabei muss man berücksichtigen, dass die Zahl der Rentner wegen des demografischen Wandels ebenfalls zunimmt. Bei mehr als 20 Millionen Rentnern ist Altersarmut aus gesellschaftlicher Sicht bis jetzt kein großes Problem. Dennoch sind sich Experten und Politik einig, dass die Altersarmut künftig mehr Menschen treffen wird. Allen voran: Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die jetzt neue Zahlen vorgelegt hat. Danach droht Millionen Rentnern ab 2030 der Absturz in die Sozialhilfe. Die Gründe für die Altersarmut liegen auch in der veränderten Arbeitswelt. Die Zeiten, in denen Beschäftigte das ganze Berufsleben in sicherer Anstellung tätig waren, sind in vielen Berufen vorbei. In Erwerbsbiografien finden sich vermehrt Phasen mit Arbeitslosigkeit, selbstständiger Tätigkeit, Teilzeit oder Minijobs.

 

Von der Leyen will mit Zuschussrente vorsorgen

Noch immer sammeln Frauen niedrigere Rentenanwartschaften an als Männer. Die Statistik spricht eine klare Sprache: Im vergangenen Jahr betrug im Westen die Durchschnittsrente bei Frauen 507 Euro, bei Männern 964 Euro. Die Rentenhöhe allein sagt zwar noch nichts über das gesamte Haushaltseinkommen aus, da in vielen Fällen Betriebsrenten und die Einkommen des Ehepartners hinzukommen. Dennoch ist aus Sicht von Ministerin von der Leyen die Beurteilung klar: Die Altersarmut in Deutschland wird in den nächsten zwanzig Jahren ein gravierendes Problem werden. Prognosen sind zwar schwierig, da die Entwicklung vor allem von der Lage am Arbeitsmarkt abhängt, aber von der Leyen will erreichen, dass die Regierung mit einer Zuschussrente gegen den wirtschaftlichen Abstieg künftiger Rentner vorsorgt. Die neue Rentenart sollen Geringverdiener erhalten, die 35 Jahre lang Beiträge in die Rentenkasse einbezahlt haben und wegen ihrer kleinen Einkommen später nur eine mickrige Rente erwarten können: Für diesen Personenkreis soll die Rente auf bis zu 850 Euro im Monat aufgestockt werden.

Nach Berechnungen des Ministeriums werden im Jahr 2030 rund 1,4 Millionen Menschen Anspruch auf eine aufgestockte Rente haben, der Großteil davon Frauen. Von der Leyen nennt dafür mehrere Gründe: Bei Frauen besteht die Erwerbstätigkeit häufiger aus Teilzeit und ist durch Kindererziehung und Pflege unterbrochen. Außerdem erhalten Frauen im Schnitt niedrigere Löhne, was sich auf die Renten auswirkt.

Es werden immer mehr Menschen in Nöte kommen

Gleichwohl sagen Forscher voraus, dass Altersarmut nicht nur ein Frauenproblem darstellt. Stark zugenommen hat in den vergangenen zehn Jahren auch die Zahl der sogenannten Soloselbstständigen: Das sind Betriebe, in denen der Chef der einzige Beschäftigte ist. Diese Selbstständigen verfügen oft kaum über eine Altersvorsorge, weshalb die schwarz-gelbe Koalition für sie eine Versicherungspflicht einführen will. Das gesamte Rentenpaket ist in der schwarz-gelben Koalition allerdings noch umstritten. Wegen der Differenzen soll über das weitere Vorgehen erst im Herbst beraten werden. Die Finanzplanung zeigt schon jetzt, welche Kosten der Gesellschaft dadurch entstehen können, dass viele Berufstätige im Alter nur noch über geringe Renten verfügen. Von der Leyen plant im Jahr 2030 Kosten für die Zuschussrente von mehr als drei Milliarden Euro ein. Gewerkschaften und Sozialverbände fordern grundlegende Rentenreformen, damit eine karge Altersvorsorge in einigen Jahrzehnten nicht zum Normalzustand wird. Was die Politik verschweigt, ist der Umstand, dass die Rentenreform aus dem Jahr 2001 allgemein zu sinkenden Renten führt. Einschnitte bei den künftigen Renten hielt die rot-grüne Bundesregierung damals für erforderlich, um die Beiträge für die heutigen Arbeitnehmer stabil zu halten. Um die Einbußen bei der gesetzlichen Rente aufzufangen, wurde die vom Staat geförderte Privatvorsorge eingeführt. Der Riester-Vertrag soll einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Arbeitnehmer weniger aus der gesetzlichen Rente zu erwarten haben. Doch mehr als zehn Jahre nach Einführung von Riester zeigt sich, dass knapp die Hälfte aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer noch keinen Altersvorsorgevertrag hat.

Da von der gesetzlichen Rente künftig nur noch geringere Leistungen zu erwarten sind, dürften in Zukunft immer mehr Menschen mit kleinem Einkommen in Nöte kommen. Geringverdiener werden trotz langer Erwerbstätigkeit kaum mehr Rente bekommen als die Grundsicherung. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund stellte fest: „Durchschnittsverdienende müssen mindestens 33 Jahre ununterbrochen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein, um eine Rente in der Höhe der Grundsicherung zu bekommen.“ Hinter dieser Diagnose verbirgt sich sozialpolitischer Sprengstoff.