Bundeskanzlerin Angela Merkel betont, dass Helmut Kohl, der am Freitag verstorben ist, bei der Wiedervereinigung die Gunst der Stunde genutzt habe. Zudem habe er seine Partei modernisiert.

Stuttgart - Mit großer Trauer, vor allem aber großem Respekt vor seiner Lebensleistung haben Weggefährten und Politiker in aktueller Verantwortung auf die Nachricht vom Tod Helmut Kohls reagiert.

 

Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete ihren Vorvorgänger als einen „Glücksfall für uns Deutsche“, der die Geschichte der Bundesrepublik und Europas mit seinem „Gespür für die Geschichte und Gefühle unserer europäischen Nachbarn“ zum Guten gewendet habe. Die Kanzlerin erinnerte daran, wie Kohl im Herbst 1989 die revolutionären Umwälzungen in Osteuropa als Chance zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Teilstaaten begriff, an die er immer geglaubt habe, „auch als andere schwankten“. Merkel sagte, „man wird noch lange studieren und bewundern, wie entschlossen und geschickt Helmut Kohl und seine Mitstreiter damals die Gunst der Stunde nutzen und wie klug sie die Einheit im Einklang mit unseren Freunden und Nachbarn aushandelten.“ Wie kein anderer habe der Altkanzler verstanden, dass die Einheit Deutschlands untrennbar mit der Einheit Europas verknüpft sei.

Historische Möglichkeit in Realität verwandelt

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz lobte ebenfalls die „Geistesgegenwart“, mit der Kohl während seiner insgesamt 16-jährigen Kanzlerschaft die historische Möglichkeit in eine politische Realität verwandelte. „Mit Helmut Kohl haben wir einen großen Europäer verloren“, hieß es in einem Kondolenzschreiben von Schulz an Kohls zweite Ehefrau Maike Kohl-Richter, die ihn in den vergangenen Jahren gepflegt hatte und im Augenblick des Todes bei ihm war. „Über alle Parteigrenzen und unterschiedliche politische Auffassungen hinweg zollt die Sozialdemokratie Helmut Kohl Respekt und Anerkennung für sein politisches Lebenswerk.“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte den Einsatz Kohls für die Aussöhnung und das Zusammenwachsen in Europa. Insbesondere hob er dessen „segensreiche Bereitschaft zur Versöhnung“ mit Frankreich hervor.

Eine Person von historischer Größe

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erklärte: Mit Kohl „trauern wir um eine Persönlichkeit von historischer Größe, einen deutschen Patrioten und den Ehrenbürger Europas. Tief verwurzelt in seiner politischen Familie, der Christlich Demokratischen Union, seiner Heimat stets eng verbunden, traditionsbewusst und zugleich mit großem Gestaltungswillen zur Modernisierung von Staat und Gesellschaft prägte Helmut Kohl über viele Jahrzehnte unser Land.“ Kohls Gabe, persönliche Freundschaften zu Staatschefs in aller Welt aufzubauen, „schuf Vertrauen in die Verlässlichkeit deutscher Politik“, so Lammert. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärte: „Kohl war ein großer Staatsmann, ein großer deutscher Politiker und vor allem ein großer Europäer, der sehr viel dafür getan hat, dass nicht nur die Deutsche Einheit gekommen ist, sondern auch Europa zusammengewachsen ist.“

Als „Kanzler der Einheit“ und als einen der „größten und überzeugendsten Europäer“ bezeichnete der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) den verstorbenen Altbundeskanzler. „Mit ihm verlieren wir einen Politiker, der mit seiner Willensstärke und unerschütterlichen Zielstrebigkeit Deutschland maßgeblich geprägt und geformt hat“, erklärte Kretschmann in Stuttgart.

Ein großer Patriot und Europäer

Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nannte Kohl einen „großen Patrioten und Europäer“. Die Einigung „unseres Landes und unseres Kontinents wird auf alle Zeit auch mit seinem Namen verbunden bleiben“, sagte Schröder. Obwohl er im Jahr 1998 einen harten Wahlkampf gegen Kohl geführt habe, in vielen politischen Fragen weit auseinander lag und liege, habe er für seine historische Leistung „größten Respekt“, sagte der in Hannover lebende Schröder. Auch die großen Kirchen reagierten mit Trauer auf den Tod des Altkanzlers. Kardinal Reinhard Marx würdigte Kohl als Persönlichkeit mit historischem Weitblick.

Der „Kanzler der Einheit“

Als „Kanzler der Einheit“ hat Helmut Kohl wie kaum ein anderer die deutsche Nachkriegsgeschichte geprägt. Der am 3. April 1930 in Ludwigshafen geborene Kohl arbeitete sich rasch in der CDU Rheinland-Pfalz hoch und wurde 1969 Ministerpräsident. 1973 stieg er zum CDU-Bundesvorsitzenden auf, drei Jahre später ging er als Oppositionsführer nach Bonn. 1982 gelang ihm der Sprung ins Kanzleramt – in einer Koalition mit der FDP, die zuvor das sozialliberale Bündnis unter Helmut Schmidt (SPD) aufgekündigt hatte. Von seinen Gegnern stets unterschätzt, festigte Kohl in seinen ersten Regierungsjahren seine Macht und erwarb sich Verdienste um die europäische Versöhnung.

1989 schien sein Stern zu sinken, und innerparteiliche Gegner sägten an seinem Stuhl. Doch wenige Monate später schlug mit der Herstellung der deutschen Einheit seine große Stunde. Trotz vieler Probleme in den Jahren nach der Wiedervereinigung, die mit starker Arbeitslosigkeit im Osten einherging, hielt sich Kohl bis 1998 im Amt – dann unterlag er bei der Bundestagswahl Gerhard Schröder (SPD). Kohl ist damit bis heute der Kanzler mit der längsten Regierungszeit überhaupt. Schweren Schaden fügte ein Jahr darauf die Parteispendenaffäre dem Ansehen Kohls zu. 1999 kam ans Licht, dass er von anonymen Spendern zwischen anderthalb und zwei Millionen Mark in bar erhalten hatte. Deren Namen verschwieg er bis zuletzt. Als die damalige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel auf Distanz ging, legte Kohl enttäuscht den CDU-Ehrenvorsitz nieder.