Der Fernsehmoderator Peter Lustig hat mit seiner Sendung „Löwenzahn“ die Kindheit vieler ZDF-Zuschauer geprägt. Am Dienstag ist er im Alter von 78 Jahren gestorben.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Manche Jahre haben es echt in sich gehabt, wie man später merkt, und was das Fernsehen hierzulande betrifft, das viele Menschen noch schwarz-weiß „empfingen“, wie man so sagte, hatte 1973 etwas ziemlich Säkulares. Zuerst nämlich ging die eingedeutschte Form von „Sesame Street“ an den Start. Dort teilten Schwarze und Weiße, anders als in der Wirklichkeit, sehr friedlich, einen schönen New Yorker Hinterhof mit seltsamen Tieren und einem Männerpärchen, von dem der eine, Ernie, mit dem Enträtseln von Weltgeheimnissen absurdester Art abends auch dann noch nicht aufhörte, wenn der andere, Bert, ein Stoiker vor dem Herrn, am liebsten die Matratze abgehorcht hätte.

 

Diesem amerikanischen Geniestreich folgte eine deutsche Entgegnung auf dem Fernsehfuß: die „Rappelkiste“, ebenfalls konzipiert für Jugendliche. Sonntags um 14 Uhr wurde hier mit teleteutonischem Furor, wie man nicht anders sagen kann, Aufklärung betrieben. Gefragt also, warum der Boss der Boss und der Arbeiter der Arbeiter sei, und, wichtiger noch – denn zum ersten Mal saßen jetzt die sogenannten Achtundsechziger mit am Regiepult – wie man die Geschlechtsteile außer Penis und Scheide sonst noch benennen könne. Da war was los, versteht sich: Die Kirchen standen auf der Barrikade, die Fernsehräte waren in Nöten, Eltern hatten Erklärungsbedarf.

Zudem passierte 1973 aber auch noch etwas ganz anderes, viel Folgenreicheres: Es debütierte nämlich in der „Sendung mit der Maus“ aus Köln, die sich mit den „Lach-und Sachgeschichten“ bereits seit zwei Jahren an ein junges Publikum wendete, ein Mann namens Peter. Er ließ zusammen mit einem Robotervogel namens Atze Sexualpädagogisches, Klassenkämpferisches und Traumtänzerisches erst einmal vollkommen beiseite, um beim jungen Fernsehzuschauer eine Art von Basiswissen zu etablieren, Zum Beispiel wie ein Telefon funktioniert. Telefone waren, kommunikationstechnisch gesehen, heimische Hochaltäre oder in stinkenden Zellen an zugigen Straßenecken untergebracht. Irgendwie geheimnisvoll. Man konnte die nicht so einfach in die Tasche stecken und auch nicht drauf fernsehschauen. Deshalb war es gut, Bescheid zu wissen, was da wie und warum verdrahtet ist. Der Mann der das erklären konnte, Peter eben, tat sein Bestes, um selbst physikalische und (natur)wissenschaftliche Kleinidioten einzubinden. Das war das Ziel von Peter Lustig, dem Moderator: einen mitzunehmen, und das war toll.

Peter Lustig hat einem einfühlsam den Horizont erweitert

Genau dies erkannte damals auch der Bayerische Rundfunk, der sich bei der „Sesamstraße“, siehe oben, anfangs noch ausgeblendet hatte (vom Aufstand gegen die „Rappelkiste“ zu schweigen). Er gab Peter Lustig, 1937 in Breslau geboren und später als Rundfunk- und Elektrotechniker in Berlin gelandet, die „Wolpertinger Wochenschau“. Dort übte Lustig noch einmal für eine ZDF-Sendung, die ihn von 1980 an beliebt, ja berühmt machen sollte: „Löwenzahn“ (vormals „Pusteblume“). Da stand dann ein Mann mit Nickelbrille und Latzhose, der so ausschaute, als hätte er gegen Gorleben demonstriert. Er lebte in einem blauen Bauwagen mit reichem Innenleben, der an einem Ort parkte, der sich Bärstadt nannte. Mehr Erfindungen gab es nicht. Oder doch: Lustigs größte Erfindung war, dass er die Dinge beim Namen nannte, indem er nach ihrem Werden, Sein und Wesen fragte: Woher bekommen die Schnecken ihre Häuser? „Passt mal auf“, sagte dann Peter Lustig – und mit einem kleinen Film, klarem Deutsch, unideologischem, ein bisschen onkelhaft-väterlichem Charme und viel Einfühlungsvermögen und Witz erweiterte Peter Lustig einem den Horizont. Buchstäblich. Und das war nie langweilig, weil Lustig das Entertainment auf wiederum sehr schöne deutsche Art mit dem Ernst kombinierte. Das ging bis in den Abspann hinein, wenn er schnell noch einmal „Abschalten!“ sagte.

Was man damals so alles nicht wusste, dann aber später erfahren konnte, war, dass es sich bei Peter Fritz Willi Lustig um ein Flüchtlingskind handelte. Seine zweite Frau, Elfie Donnelly (die Schöpferin von Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen) porträtierte ihren Mann in „Peters Flucht“, einem Kinderbuch nicht nur für Kinder. Kongenial, das, denn genau dies war ja auch stets die Absicht von Peter Lustig gewesen, dem Vielerklärer mit der sonoren Stimme: den Jungen etwas auseinanderzusetzen, was auch den Erwachsenen im Inneren noch zusammenhalten vermag. Bei einem ganz schwierigen Thema bezog Lustig dann wieder selber Position: Als er 1984 an Krebs erkrankte, was ihm am Ende nur einen Lungenflügel ließ, schrieb er darüber, wie man sich Leid stellt und es womöglich bewältigt, „wunderliche Briefe“ an seinen Sohn Momme, die als Buch veröffentlicht wurden. Lustig schaute nicht nur hinter die Fassade der Dinge, er ließ sich auch selber über den Gartenzaun gucken. Und er hatte Glück.

Bücher, Serien und fast 200 Folgen Löwenzahn

Trotz Krankheit brachte er es auf fast zweihundert Folgen „Löwenzahn“ und etliche andere Serien, Bücher und zuletzt noch eine Wanderausstellung, die nach ihm hieß: die „Peter-Lustig-Ausstellung“. Dort wurde Technik auf seine Art und Weise erklärt: hinter tausend Fragen erschien immer eine Welt, und sie war menschlich – und kein Selbstzweck. Dafür stand Peter Lustig zu sehr im Leben. Er hatte vier Kinder und neun Enkel, und als er jetzt gestorben ist, auf Husum und mit 78 Jahren, konnte er das im Bewusstsein tun, medial noch viel mehr Menschen erreicht zu haben, denen er etwas beibringen konnte. Peter Lustig war, um das Mindeste zu sagen, ein sehr guter Lehrer.