Der Nationalsozialistische Untergrund hat auch hiesige Einrichtungen wie türkische Moscheevereine und Personen im Visier gehabt.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Waiblingen - Der Brief der Waiblinger Polizei hat in der Welzheimer Bilal-i-Habesi-Moschee nicht nur Bestürzung ausgelöst - "er hat mehrere Frage- und Ausrufungszeichen hinterlassen", wie Özhan Bolat vom türkisch-islamischen Kulturverein sagt. Das muslimische Gotteshaus im Visier einer fremdenfeindlichen Terrororganisation? In dem vor rund zwei Wochen verschickten Schreiben wird dem Verein zwar lediglich mitgeteilt, dass sein Name auf einer jener Listen gefunden worden sei, die bei den Ermittlungen gegen die Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund ("NSU") sichergestellt worden sind, Anhaltspunkte für konkrete Anschlagsplanungen oder eine Gefährdung gebe es demnach allerdings keine. "Dennoch hat die Information ein mulmiges Gefühl ausgelöst", sagt Özhan Bolat.

 

15 weitere Institutionen aus dem Rems-Murr-Kreis, vornehmlich türkische Kultur- oder Moscheevereine, haben einen ähnlich lautenden Brief erhalten, das bestätigt ein Sprecher des Landeskriminalamts (LKA) auf Anfrage. Nährere Angaben über die Adressaten will er nicht machen. Die Informationen seien über die Bundesbehörde an die jeweiligen Landesämter weitergereicht worden, diese wiederum hätten die Polizeidirektionen gebeten, die Organisationen und Personen in ihrem Zuständigkeitsbereich zu informieren. Die Listen, die wohl bereits in den Jahren 2004 und 2005 erstellt worden seien, hätten "keine Hinweise auf aktuelle Gefährdungsaspekte" ergeben. Dennoch habe man die erfassten Institutionen über den Sachverhalt in Kenntnis setzen wollen.

Nach welchem Muster wurde vorgegangen?

Darunter befinden sich weitere in der Region Stuttgart. So gibt es in den "NSU"- Daten auch Adressen von 29 Einrichtungen im Kreis Ludwigsburg sowie von sieben Mandatsträgern. Im Kreis Böblingen waren drei Mandatsträger im Visier der "NSU" und ebenfalls 29 Institutionen. Namen nennt das LKA nicht. Dass auch die Daten des Interkulterellen Forums Esslingen auf der Liste des rechtsradikalen Netzwerks standen, ist nur deshalb bekannt, weil das Forum selbst dies öffentlich gemacht hat. Eine signifikante Häufung in der Region allerdings sei nicht zu erkennen, sagt der Sprecher des LKA. Im Gegenteil, immerhin umfassen die Listen insgesamt gut 10.000 Namen.

Wie und nach welchem Muster die Namen auf die Listen gelangt sind, die auf einem Computer-Speichermedium in einem ausgebrannten Haus in Zwickau gefunden wurden, bleibt indes weiter unklar. Die Ermittler gehen offenbar nicht davon aus, dass hiesige Zuträger eine Art lokale Auswahl getroffen haben. Vielmehr deute vieles darauf hin, dass sich die rechtsextremen Namenssammler öffentlich zugänglicher Adressnachschlagewerke bedient hätten.

Niemand will sich den Mund verbrennen

Eine solche Einschätzung gibt es jedoch nur hinter vorgehaltener Hand. Der rechtsextreme Untergrundterror ist ein Thema, bei dem sich niemand den Mund verbrennen will. Die Polizei verweist an das LKA, dieses an das Bundeskriminalamt, welches wiederum an die Bundesanwaltschaft verweist. Doch auch dort, in Karlsruhe, hält sich die Auskunftsbereitschaft in engen Grenzen. Eine Sprecherin der Behörde bestätigt nur, dass alle der rund 10.000 Betroffenen informiert worden seien - und dass sich bisher keinerlei Hinweise auf ein konkretes Anschlagsszenario ergeben hätten.

In der Welzheimer Moschee bemüht man sich derweil, "den Alltag weiterzuführen", als hätte es den Brief nicht gegeben. "Wir leben gerne in Welzheim und führen eine Moschee, die offen für alle ist", sagt Özhan Bolat. Das mulmige Gefühl scheint allerdings noch nicht gänzlich verflogen. Der Verein überlege, räumt Bolat ein, auf dem Moscheegelände zur eigenen Sicherheit ein Kamerasystem zu installieren.

Die Zwickauer Zelle "NSU"

Fremdenhass: Seit dem 11. November ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen Mitglieder und Unterstützer der terroristischen Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund ("NSU") um die am 4. November getöteten Uwe B. und Uwe M. sowie die inhaftierte Beate Z. Das Ziel der Vereinigung sei nach Erkenntnissen der Ermittler, "aus einer fremden- und staatsfeindlichen Gesinnung heraus Mitbürger ausländischer Herkunft und Repräsentanten staatlicher Hoheitsgewalt zu töten".

Mordverdacht: Die Gruppe, die auch als Zwickauer Terrorzelle bekannt ist, soll unter anderem in den Jahren 2000 bis 2006 bundesweit neun türkische und griechische Mitbürger ermordet haben. Außerdem wird sie für den Mordanschlag auf zwei Heilbronner Polizisten im April 2007 verantwortlich gemacht. Dabei kam Michèle Kiesewetter ums Leben.