Mittlerweile ins kollektive Gedächtnis kopiert ist der schmächtige Mann in seiner tonnen- und trichterartigen Pappzurüstung: Hugo Ball, Initiator und intellektueller spiritus rector der Selbstdarsteller, muss im Juni 1916 auf die Bühne getragen werden, um als magischer Bischof im kubistischen Kostüm Verse ohne Worte zu rezitieren: reine Lautgedichte. Die wohl markanteste Zuspitzung dessen, was Dada bis heute ist: „gadji beri bimba glandridi laula lonni cadori/ gadjama gramma berida bimbala glandri galassassa laulitalomini (…).“

 

Draußen wird der Krieg erklärt – am Ende mit 17 Millionen Toten und 20 Millionen Verwundeten. Wie ungleich sublimierter ist es hier, wo aus innerer Not und Notwendigkeit heraus das zwischenmenschliche Medium der Mitteilung, die Sprache selbst hintergangen wird und sich jeder sinnstiftenden Ordnung versagt – und paradoxerweise darin ihre größtmögliche, geradezu musikalische Freiheit erlangt: „Wir müssen uns in die tiefste Alchemie des Wortes zurückziehen und selbst die Alchemie des Wortes verlassen, um so der Dichtung ihre heiligste Domäne zu bewahren“, so Hugo Ball, der rückblickend auf die Züricher Darbietungen in seinen Erinnerungen „Flucht aus der Zeit“ von 1927 bekennt: „Was wir zelebrieren, ist eine Buffonade und eine Totenmesse zugleich.“ Waren die Künstler des Expressionismus noch angetreten mit der Vision eines Neuen Menschen, muss Dada am Paradox des eigenen Anspruches scheitern, sich selbst erschöpfen an den Aporien des auf Dauer gestellten „Anti-“. Ball steigt aus. Dada Zürich hat sich, kaum dass es auf die Bühne getreten ist, bald wieder zerstreut. Doch die „Karawane“ zieht weiter: „jolifanto bambla ô falli bambla/(…)/ tumba ba- umpf/ kusagauma/ ba - umpf“.

Utopische Maskeraden

Neue Bücher, Manifeste, Gemälde und Plakate, Lieder, Kostüme und Skandale werden andernorts und in neuen Besetzungen unter die Leute gebracht – stets Studien der Exaltiertheit, in die sich ein lustvoll hartes Exerzitium unter den individuellen Bedingungen des künstlerischen Produktionszwangs eingeschrieben hat. So breitet sich Dada in den frühen Zwanzigerjahren weltweit aus; agiert und agitiert mit dem Kredo „Anti-Kunst!“ in den bürgerlichen Kunstszenen ebenso wie in den Bohèmezirkeln.

Berlin ist sicher das heißeste, politisch radikalisierte Nachkriegspflaster und entsprechend offensiv treten Huelsenbeck, George Grosz, Johannes Baader und Raoul Hausmann in Dada-Soireen, mit Publikationen, Ausstellungen und 1924 mit einer „Ersten Internationalen Dada-Messe“ in Erscheinung. Francis Picabia und Tristan Tzara gehen nach Paris und kooperieren mit dem Kreis um André Breton, bevor dessen Surrealismus sich durchsetzt. Manche der Dada-Dependencen sind personell eher unterbesetzt: in Köln wirken Max Ernst und Johannes Th. Baargeld; Kurt Schwitters in Hannover baut sein eigenes „Merz“-Ding. Ja, selbst New York bestaunt Marcel Duchamp, Man Ray oder die Exzentrikerin Elsa von Freytag-Loringhoven.

Sind wie nicht alle Dada?

Mitte der Zwanziger wird dann irgendwo zwischen den ideologisch verminten Frontverläufen, auf den avantgardistischen Spielwiesen zwischen Kubismus, Konstruktivismus, Futurismus, Expressionismus und Surrealismus, nachdem er sein Pulver verschossen hatte, auch Dada-Ernst vermisst gemeldet – hat sich in Wirklichkeit aber längst abgesetzt zu neuen Ufern, an denen in neuen Maskeraden wieder befreiend Utopisches abgesteckt werden soll, ohne allzu sehr auf etablierte Grenzverläufe und Besitzstände zu achten.

Bühne und Zuschauerraum des „Cabaret Voltaire“ werden zu einem Testlabor künstlerischer Energiezustände, eine „lebendige Zeitschrift“ Hugo Ball), ein Teilchenbeschleuniger, der im Moment der Aufführung die unterschiedlichen Darstellungsmaterialien aufeinandertreffen lässt und ein flüchtiges Ereignis produziert und provoziert. Ein Gesamtkunstwerk über Gattungs-, Sprach-, Standesgrenzen hinweg, mit kalkuliertem Schock und Ekstase – alles ineins: Treibstoff und Rohstoff der exzentrischen Erfahrung. Nach langen Wehen die Geburt der Performance aus dem Geiste des Dilettantismus. Ein Wunder?

Krieg und Irrsinn

Mittlerweile ins kollektive Gedächtnis kopiert ist der schmächtige Mann in seiner tonnen- und trichterartigen Pappzurüstung: Hugo Ball, Initiator und intellektueller spiritus rector der Selbstdarsteller, muss im Juni 1916 auf die Bühne getragen werden, um als magischer Bischof im kubistischen Kostüm Verse ohne Worte zu rezitieren: reine Lautgedichte. Die wohl markanteste Zuspitzung dessen, was Dada bis heute ist: „gadji beri bimba glandridi laula lonni cadori/ gadjama gramma berida bimbala glandri galassassa laulitalomini (…).“

Draußen wird der Krieg erklärt – am Ende mit 17 Millionen Toten und 20 Millionen Verwundeten. Wie ungleich sublimierter ist es hier, wo aus innerer Not und Notwendigkeit heraus das zwischenmenschliche Medium der Mitteilung, die Sprache selbst hintergangen wird und sich jeder sinnstiftenden Ordnung versagt – und paradoxerweise darin ihre größtmögliche, geradezu musikalische Freiheit erlangt: „Wir müssen uns in die tiefste Alchemie des Wortes zurückziehen und selbst die Alchemie des Wortes verlassen, um so der Dichtung ihre heiligste Domäne zu bewahren“, so Hugo Ball, der rückblickend auf die Züricher Darbietungen in seinen Erinnerungen „Flucht aus der Zeit“ von 1927 bekennt: „Was wir zelebrieren, ist eine Buffonade und eine Totenmesse zugleich.“ Waren die Künstler des Expressionismus noch angetreten mit der Vision eines Neuen Menschen, muss Dada am Paradox des eigenen Anspruches scheitern, sich selbst erschöpfen an den Aporien des auf Dauer gestellten „Anti-“. Ball steigt aus. Dada Zürich hat sich, kaum dass es auf die Bühne getreten ist, bald wieder zerstreut. Doch die „Karawane“ zieht weiter: „jolifanto bambla ô falli bambla/(…)/ tumba ba- umpf/ kusagauma/ ba - umpf“.

Utopische Maskeraden

Neue Bücher, Manifeste, Gemälde und Plakate, Lieder, Kostüme und Skandale werden andernorts und in neuen Besetzungen unter die Leute gebracht – stets Studien der Exaltiertheit, in die sich ein lustvoll hartes Exerzitium unter den individuellen Bedingungen des künstlerischen Produktionszwangs eingeschrieben hat. So breitet sich Dada in den frühen Zwanzigerjahren weltweit aus; agiert und agitiert mit dem Kredo „Anti-Kunst!“ in den bürgerlichen Kunstszenen ebenso wie in den Bohèmezirkeln.

Berlin ist sicher das heißeste, politisch radikalisierte Nachkriegspflaster und entsprechend offensiv treten Huelsenbeck, George Grosz, Johannes Baader und Raoul Hausmann in Dada-Soireen, mit Publikationen, Ausstellungen und 1924 mit einer „Ersten Internationalen Dada-Messe“ in Erscheinung. Francis Picabia und Tristan Tzara gehen nach Paris und kooperieren mit dem Kreis um André Breton, bevor dessen Surrealismus sich durchsetzt. Manche der Dada-Dependencen sind personell eher unterbesetzt: in Köln wirken Max Ernst und Johannes Th. Baargeld; Kurt Schwitters in Hannover baut sein eigenes „Merz“-Ding. Ja, selbst New York bestaunt Marcel Duchamp, Man Ray oder die Exzentrikerin Elsa von Freytag-Loringhoven.

Sind wie nicht alle Dada?

Mitte der Zwanziger wird dann irgendwo zwischen den ideologisch verminten Frontverläufen, auf den avantgardistischen Spielwiesen zwischen Kubismus, Konstruktivismus, Futurismus, Expressionismus und Surrealismus, nachdem er sein Pulver verschossen hatte, auch Dada-Ernst vermisst gemeldet – hat sich in Wirklichkeit aber längst abgesetzt zu neuen Ufern, an denen in neuen Maskeraden wieder befreiend Utopisches abgesteckt werden soll, ohne allzu sehr auf etablierte Grenzverläufe und Besitzstände zu achten.

Bis heute erreichen uns Sendschreiben und Signale unter den verschiedensten, selbstredend sich energisch widersprechenden Pseudonymen, die jedoch die Dada-Strategien längst zur Handlungsmaxime verinnerlicht haben: mal eine 4.33’’-Stilleminuten-De-Komposition von John Cage; mal Nora Gomringer und Ernst Jandl mit Konkreter Poesie; in Sozialen Plastiken pflanzt Josef Beuys 7000 Eichen und pumpt Honig in die Politik. Fluxus-Happenings, Radikalabstürze mit echten Punkkrachern wie den Sex Pistols, und Ready-Mades, wohin man schaut. Lady Gaga verausgabt sich und Jonathan Meese stammelt in Endlosschleifen von der „Diktatur der Kunst“. Und bitte Helge Schneider nicht vergessen!

Heute ist zwar das provokante Spielchen durchschaut, doch sind die Hyperräume der Narretei an vielen Stellen bis zur Unkenntlichkeit mit der sogenannten Wirklichkeit verschmolzen, werden schneller durchmessen und vergessen als sie gehypt werden können und längst hat die kapitalistische Verwertungslogik künstlerisch verrückte Positionen dem Diktat des unterhaltungsindustriellen Anything-goes erfolgreich einverleibt. Sind wir nicht alle ein bisschen Dada? „Gadji beri bimba glandridi laula...“