Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Die verbliebenen Gründungsmitglieder hätten vielleicht auch etwas Ordentliches gelernt. Mick Jagger war am 17. Oktober 1961 auf dem Weg zur London School of Economics, als er auf dem Bahnsteig seinen alten Grundschulkumpel Keith Richards wiedertraf, der auf dem Weg zu seiner Kunstschule war. So wäre aus dem Lehrersohn Jagger vielleicht ein guter Ökonom und nicht nur ein brillanter Selbstvermarkter geworden, wenn er an jenem Morgen nicht zwei Schallplatten unter dem Arm gehabt hätte, die prompt Richards’ Interesse befeuerten und zu einer lebenslangen Partnerschaft führen sollten. Der Rest ist bekannt, Werk und Wirken ebenso wie die zahllosen Superlative, und wenn hier immer wieder von Richards und Jagger die Rede ist, soll dies gewiss nicht die Leistung des Gitarristen Wood und des Schlagzeugers Watts schmälern, mit denen dieses seit Wymans Abgang bassistenlose Quartett bis heute existiert.

 

Aber bei allem Respekt: Jagger und Richards sind nicht nur die Schöpfer fast aller Stones-Songs, sie sind die zwei Gesichter dieser Band. Plisch und Plum, Pat und Patachon, die Rampensau und der Songmagier, der Narziss mit Schmollmund und der Gitarrist mit dem genialischen Gen. Symbiotisch sind die beiden aneinander festgekettet, auch wenn diese zwei sehr unterschiedlichen Charaktere gewiss alles andere als enge Freunde sind. „Mick ist meine Ehefrau, aber wir können uns nicht scheiden lassen“, bringt es Richards auf den Punkt.

Vertrauen im Fegefeuer der Eitelkeiten

Das Erfolgsrezept einer ewig währenden Ehe, die mit der goldenen Hochzeit ihre Krönung erfährt, erfüllen sie im Grunde ihres Herzens wohl auch: man braucht viel Verständnis füreinander, aber auch Respekt für den anderen. Oft standen der Kontrollfreak und der Freigeist an der Weggabel, an der sich alles in einem unauflösbaren Konflikt hätte entladen können, oft haben sie sich gezankt, aber doch sind sie stets in den Schoß der Band zurückgekehrt – trotz dieses Fegefeuers der Eitelkeiten.

„Die Beatles wollen deine Hand halten, die Stones wollen deine Stadt niederbrennen“, umriss der US-Schriftsteller Tom Wolfe den großen Unterschied zwischen der prägendsten existierenden und der prägendsten nicht mehr existierenden Band aller Zeiten. Fürwahr: jene schroffe Rohheit, der Hedonismus, vor allem der fehlende, aber auch nie reklamierte Kunstanspruch, der die Rolling Stones einst zur Gefahr für die gutbürgerliche Gesellschaft machte und der ihnen heute die Wertschätzung gerade in der gutbürgerlichen Gesellschaft sichert – das macht diese Band aus. Wer könnte es besser als die Stones selber auf den Nenner bringen, bei denen auf ihrem zwölften Album die 1974 formulierte, aber noch immer gültige Einsicht reifte: „It’s only Rock ’n’ Roll but I like it.“

Niemand macht ihnen den Titanentitel streitig

Rock ’n’ Roll, der letzte Begriff aus der unheiligen Trias schließlich, das wäre noch so eine Sache. Es war ja nicht so, dass es derlei zuvor nicht gab. Acht Jahre vor den Stones eroberte Bill Haley mit „Rock around the Clock“ die Welt, Little Richard, Carl Perkins, Jerry Lee Lewis und Gene Vincent hatten bei Barthel längst schon den leckeren Rockabillymost geholt, ehe die Stones bei ihrem ersten Konzert mangels eigenen Repertoires Songs von Jimmy Reed und Don Raye nachspielten, zwei längst vergessenen Heroen des Blues und des Rock ’n’ Roll. Und dennoch gibt es natürlich niemanden, der ihnen auch nur annähernd den Titanentitel streitig machen wollte.

Zum System Rock ’n’ Roll gehört obligatorisch und systemimmanent der Personalschwund. Von ihm blieben auch die Rolling Stones nicht verschont, alles andere wäre bei fünfzig Jahren Bandgeschichte ja auch überraschend. Er hält sich für ein halbes Säkulum aber in einem nahezu minimalen Rahmen; das macht die Rolling Stones ebenfalls einzigartig. Brian Jones, der größenwahnsinnigste aller rollenden Steine („Wir pissen hin, wo’s uns passt“), starb früh und auch unter der Last des Ruhms unter bis heute nebulösen Umständen. Bill Wyman ignorierte ein Diktum Keith Richards’ („Die Stones verlässt man nur im Sarg – oder man wird rausgeworfen“) lässig und kehrte der Band 1993 so frohgemut wie freiwillig den Rücken. Mick (der hochtalentierte Gitarrist) und „Dick“ Taylor gingen. Der Schlagzeuger Tony Chapman (der eventuell – so genau weiß es niemand mehr – beim ersten Stones-Konzert am 12. Juli 1962 im Londoner Marquee an den Drums saß). Und schließlich, aber das war es dann auch schon, der Pianist Ian Stewart, der als Elektriker das einzige Gründungsmitglied mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung war und 1963 angeblich wegen seines hässlichen Kinns vom Manager Andrew Loog Oldham ausgeschlossen wurde.

Die zwei Gesichter einer Band

Die verbliebenen Gründungsmitglieder hätten vielleicht auch etwas Ordentliches gelernt. Mick Jagger war am 17. Oktober 1961 auf dem Weg zur London School of Economics, als er auf dem Bahnsteig seinen alten Grundschulkumpel Keith Richards wiedertraf, der auf dem Weg zu seiner Kunstschule war. So wäre aus dem Lehrersohn Jagger vielleicht ein guter Ökonom und nicht nur ein brillanter Selbstvermarkter geworden, wenn er an jenem Morgen nicht zwei Schallplatten unter dem Arm gehabt hätte, die prompt Richards’ Interesse befeuerten und zu einer lebenslangen Partnerschaft führen sollten. Der Rest ist bekannt, Werk und Wirken ebenso wie die zahllosen Superlative, und wenn hier immer wieder von Richards und Jagger die Rede ist, soll dies gewiss nicht die Leistung des Gitarristen Wood und des Schlagzeugers Watts schmälern, mit denen dieses seit Wymans Abgang bassistenlose Quartett bis heute existiert.

Aber bei allem Respekt: Jagger und Richards sind nicht nur die Schöpfer fast aller Stones-Songs, sie sind die zwei Gesichter dieser Band. Plisch und Plum, Pat und Patachon, die Rampensau und der Songmagier, der Narziss mit Schmollmund und der Gitarrist mit dem genialischen Gen. Symbiotisch sind die beiden aneinander festgekettet, auch wenn diese zwei sehr unterschiedlichen Charaktere gewiss alles andere als enge Freunde sind. „Mick ist meine Ehefrau, aber wir können uns nicht scheiden lassen“, bringt es Richards auf den Punkt.

Vertrauen im Fegefeuer der Eitelkeiten

Das Erfolgsrezept einer ewig währenden Ehe, die mit der goldenen Hochzeit ihre Krönung erfährt, erfüllen sie im Grunde ihres Herzens wohl auch: man braucht viel Verständnis füreinander, aber auch Respekt für den anderen. Oft standen der Kontrollfreak und der Freigeist an der Weggabel, an der sich alles in einem unauflösbaren Konflikt hätte entladen können, oft haben sie sich gezankt, aber doch sind sie stets in den Schoß der Band zurückgekehrt – trotz dieses Fegefeuers der Eitelkeiten.

„Die Beatles wollen deine Hand halten, die Stones wollen deine Stadt niederbrennen“, umriss der US-Schriftsteller Tom Wolfe den großen Unterschied zwischen der prägendsten existierenden und der prägendsten nicht mehr existierenden Band aller Zeiten. Fürwahr: jene schroffe Rohheit, der Hedonismus, vor allem der fehlende, aber auch nie reklamierte Kunstanspruch, der die Rolling Stones einst zur Gefahr für die gutbürgerliche Gesellschaft machte und der ihnen heute die Wertschätzung gerade in der gutbürgerlichen Gesellschaft sichert – das macht diese Band aus. Wer könnte es besser als die Stones selber auf den Nenner bringen, bei denen auf ihrem zwölften Album die 1974 formulierte, aber noch immer gültige Einsicht reifte: „It’s only Rock ’n’ Roll but I like it.“

Jederzeit für eine Überraschung gut

Der künstlerische Einfluss der Stones, auch das müßig zu erwähnen, war dennoch unermesslich. Eines der weltweit wichtigsten Musikmagazine hört sogar auf ihren Namen. Vor sieben Jahren hat sich dieser „Rolling Stone“ den Spaß gemacht, die besten hundert Stones-Songs aller Zeiten zu küren. Auf Platz hundert, mit viel Luft nach oben, landete die (im doppelten Wortsinn) Flower-Power-Nummer „Dandelion“. Dandelion, zu Deutsch Pusteblume, ist der Name von Keith Richards’ Tochter, die er mit Anita Pallenberg zeugte, ehe sie sich ihrem Lover zuwandte, der übrigens bei einer Runde russisch Roulette sein Leben aushauchen sollte . . . ach ja, man könnte noch viele Geschichten von Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll erzählen – oder aber festhalten, dass das Pusteblümchen, das immer wieder jäh ins Kraut schießt und am Ende immer wieder vom Wind fortgeblasen wird, für ein schönes Schlussbild taugt.

Denn die aktuelle künstlerische Strahlkraft der Rolling Stones ist anno 2012 zwar gleich null, das letzte Album „A bigger Bang“ liegt sieben Jahre zurück, das vorletzte („Bridges to Babylon“) 15 Jahre und die letzte Tour fünf Jahre. Und zu den Jubiläumsfeierlichkeiten passiert nichts Nennenswertes. Abschreiben sollte man die Jungs aber keinesfalls. Eine kleine Jamsession mit allen vier Bandmitgliedern gab es im Dezember 2011 schon in London (es war das erste Aufeinandertreffen seit vier Jahren), selbst der Zauderer Mick Jagger sagte im Herbst vergangenen Jahres, dass eine Tour 2013 „nicht grundsätzlich ausgeschlossen“ sei. Jagger und Richards, die beiden verbliebenen Gründungsmitglieder, bei denen es bei mindestens einem an ein Weltwunder grenzt, dass er noch unter uns weilt, werden 2013 dann übrigens beide siebzig Jahre alt. Noch so eine Sensation.