Seit 1. März gilt in Baden-Württemberg das nächtliche Alkoholverkaufsverbot - und der Einsatz der Behörden trägt offenbar Früchte.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Thea Bracht (tab)

Stuttgart - Der Kampf der Behörden in Stadt und Land gegen nächtliche Alkoholexzesse trägt offenbar Früchte. Laut einer Statistik der Landesregierung ist die Zahl der zwischen 22 und 5 Uhr begangenen Gewaltdelikte in den vergangenen vier Jahren um 2,9 Prozent gesunken, bei den schweren Körperverletzungen verringerte sich der Wert sogar um 6,2 Prozent. „Dies“, schreibt Staatssekretär Klaus-Peter Murawski (Grüne), könne als „Indiz dafür gewertet werden“, dass das seit 1. März 2010 geltende Alkoholverkaufsverbot in der Nacht „auch in Bezug auf die Deliktsentwicklung Wirkung entfaltet hat“.

 

Allerdings umfassen die in der Statistik aufgeführten Zahlen alle Straftaten, die zwischen 22 und 5 Uhr begangen worden sind – „also unabhängig davon, ob ein Täter unter Alkoholeinfluss stand oder nicht“. Eine Differenzierung sei nicht sinnvoll, „da lediglich bei aufgeklärten Straftaten ein Alkoholbezug hergestellt werden kann“.

Dennoch ist man auch im Stuttgarter Rathaus davon überzeugt, dass das Gesetz geholfen hat, die Anzahl der unter Alkoholeinfluss begangenen Straftaten zu senken. Allerdings gebe es in der Landeshauptstadt ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um nächtliche Exzesse zu verhindern, etwa die Gespräche mit den Club-Betreibern. „Die Wirkungszusammenhänge lassen sich deshalb nicht hundertprozentig messen“, sagt Hermann Karpf, der Referent von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer.

„Vorglühen“ beginnt jetzt früher

Die Statistik des Landes beleuchtet jedoch auch die Kehrseite des nächtlichen Alkoholverbots. Denn just in den zwei Stunden, ehe die Schranke fällt, ist die Zahl der Straftaten gestiegen: um 1,2 Prozent bei den schweren Fällen, um satte 8,6 Prozent bei den Gewaltdelikten. Dies deutet daraufhin, dass die überwiegend jüngeren Vergnügungswilligen immer noch „vorglühen“ – nur tun sie es jetzt früher.

Deswegen fällt unter anderem die Bilanz der Tankstellenpächter ganz anders aus als jene der Ordnungskräfte. Die Tankwarte sind von dem Alkoholverkaufsverbot ebenso betroffen wie Lieferdienste und die Supermärkte, die nach 22 Uhr geöffnet haben. Wie hoch die Umsatzeinbußen genau sind, lässt sich zwar kaum beziffern. Der Verband des Kraftfahrzeuggewerbes Baden-Württemberg rechnet aber damit, dass landesweit mindestens tausend Arbeitsplätze an Tankstellen weggefallen sind.

Was auf den ersten Blick verwundert: Nur eine Tankstelle in Stuttgart hat seit dem Inkrafttreten des nächtlichen Alkoholverkaufsverbots eine neue Gaststättenerlaubnis beantragt, die es ermöglicht, auch zwischen 22 und 5 Uhr Hochprozentiges feilzubieten. 460 Euro kostet eine solche Erlaubnis einen Betreiber – einmalig. Insgesamt gibt es neun solcher Tankstellen mit Bistro in der Stadt. Warum das so wenige sind, beantwortet Benno Bartosch vom Ordnungsamt folgendermaßen: „Gaststätten- und Verkaufsbereich müssen klar voneinander getrennt sein, man braucht eine entsprechende Baugenehmigung, Toiletten – und man muss hygienische Anforderungen erfüllen, das alles kostet ein paar Euro.“

Alkoholkonsumverbot an öffentlichen Plätzen könne helfen

Zumindest scheinen sich die Tankstellen ohne Lizenz an das nächtliche Verkaufsverbot zu halten: 2012 hat das Ordnungsamt nur zwei Verstöße registriert, in diesem Jahr ist noch keine einzige Tankstelle negativ aufgefallen. Ähnliches gilt für Handel und Bringdienste. Während die Stadt Mannheim im vorigen Jahr noch einmal darauf hingewiesen hat, dass Lieferdienste nach 22 Uhr keinen Alkohol verkaufen dürfen, sieht Karpf dieses Problem in Stuttgart nicht. „In der Gastronomie ist man insgesamt schon sensibel“, sagt er. Dazu trügen auch die regelmäßigen Schwerpunktkontrollen in Zusammenarbeit mit der Polizei bei. Zugleich räumt Karpf ein, dass eine flächendeckende Überprüfung nicht möglich ist. „Manchmal bekommen wir Hinweise, denen gehen wir natürlich nach“, so Karpf. Wer beim nächtlichen Alkoholverkauf erwischt wird, dem drohen bis zu 10 000 Euro Bußgeld, deutlich mehr als bei anderen Ordnungswidrigkeiten.

Bringdienste seien bereits vom Verbot erfasst

Mancherorts versuchen „Alkoholbringdienste“, das Verkaufsverbot zu umgehen. Ein Anbieter in Stuttgart wirbt zum Beispiel damit, jeden Freitag und Samstag und vor den Feiertagen alkoholische Getränke, Snacks und Softdrinks auszufahren. Eine Flasche Whisky kostet 20, ein halber Liter Bier zwei Euro. Künftig solle auch diesen Diensten untersagt werden, nach 22 Uhr Kunden zu beliefern. So lautet jedenfalls ein Vorschlag des Innenministeriums. Auf Nachfrage wird der Pressesprecher deutlicher: „Wir gehen davon aus, dass die Bringdienste bereits vom Verbot erfasst sind.“

Im Stuttgarter Ordnungsamt ist man jetzt gespannt, zu welchen Ergebnissen ein Arbeitskreis des Landes kommt, der die bestehenden Regelungen überdenken und neue Verbote prüfen soll. Die Empfehlungen sollen vor Weihnachten vorliegen. Dann wird auch das von Ministerpräsident Kretschmann gewünschte Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen wieder auf die Tagesordnung kommen. „Wir würden das begrüßen“, sagt Hermann Karpf. Ein Alkoholkonsumverbot an Brennpunkten wie dem Berliner Platz könne helfen, „Auffälligkeiten zu begegnen“, befristet natürlich. Es gehe schließlich nicht darum, reihenweise Verbote auszusprechen, sondern „eine vernünftige Balance zu finden“.