Auch im zweiten Prozess ist Jörg K. zu einer Haftstrafe zur Bewährung verurteilt worden. Ohne seine Waffe und seine Munition hätte es das Massaker nicht gegeben.

Regio Desk: Oliver im Masche (che)

Stuttgart - Mit regungslosem Gesicht hat der Vater von Tim K. den zweiten Prozess gegen ihn am Landgericht in Stuttgart begleitet. Und auch beim Urteil am Freitag verzieht der 54-Jährige kein Gesicht. Danach steht der Mann wortlos auf und verlässt innerhalb weniger Sekunden den Gerichtssaal. Richter haben ihm ein zweites Mal erklärt, dass er eine Mitschuld am Amoklauf seines Sohnes am 11. März 2009 trage. Ob die juristische Aufarbeitung an einer Strafkammer mit dem Urteil am Freitag aber zu Ende ist, ist offen. Eine Woche hat die Verteidigung Zeit, Rechtsmittel gegen den Richterspruch einzulegen. Sie kündigte bereits an, eine Revision zu erwägen.

 

Vier Jahre nach dem Amoklauf ist der Vater des Täters auch im zweiten Prozess am Landgericht in Stuttgart verurteilt worden. Die Richter sprachen gegen den Mann erneut eine Haftstrafe zur Bewährung aus. Dieses Mal legten sie ein Strafmaß von anderthalb Jahren fest. Im ersten Verfahren, das vor zwei Jahren ebenfalls am Landgericht zu Ende gegangen war, hatte man den Vater des Amokläufers zu einer 21-monatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Weil sich die juristische Aufarbeitung des Falles bereits schon so stark in die Länge gezogen habe, seien die Richter nun beim Strafmaß etwas milder gewesen, so der Vorsitzende Richter Ulrich Polachowski.

Jahrelang die Beretta im Schlafzimmer

Entscheidend für das Urteil sei, dass das Massaker nicht möglich gewesen wäre, wenn der Vater die Tatwaffe und die Munition dazu ordnungsgemäß verschlossen aufbewahrt hätte, so der Richter. Doch die Beretta hatte der Mann mehrere Jahre lang aus Furcht vor Einbrüchen im Schlafzimmerschrank versteckt. Und die Munition dazu – Tim K. hatte bei dem Amoklauf fast 300 Schuss mit sich geführt – ließ der Vater quasi offen in der Wohnung herumliegen. „Die vielen Hundert Patronen in angebrochenen Schachteln im Kellerraum sprechen eine deutliche Sprache“, sagte Polachowski. Daher habe der Junge über längere Zeit Gelegenheit gehabt, die Munition zu sammeln. „Sie sind mit den waffenrechtlichen Anforderungen schlicht schlampig umgegangen“, so der Richter.

Zwar sei die Kammer nicht davon ausgegangen, dass der Vater von Tim K. von „einem Hass auf die Welt“ und von Tötungsfantasien gewusst habe, von denen der Junge im Frühjahr 2008 bei einem ersten Gespräch mit Ärzten und Therapeuten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Weinsberg berichtet haben soll. Der Junge war dort auf eigenen Wunsch ambulant behandelt worden. Aber mit den Besuchen in Weinsberg habe der Vater gewusst, dass sein Sohn „psychische Auffälligkeiten“ gezeigt habe, erklärte der Richter. Warum sonst sei er mit nach Weinsberg gefahren und habe sich mehrere Monate später bei einem Lehrer erkundigt, wie es seinem Sohn gehe. Spätestens wenige Wochen vor dem Massaker, als ihm sein Sohn eröffnet habe, dass er seinem Vater 1000 Schuss Munition zum Geburtstag kaufen wolle, hätten bei dem 54-Jährigen „alle Alarmglocken schrillen müssen“, sagte Polachowski. Zwar habe er selbst am Tattag einen Amoklauf nicht konkret vorhersehen können, aber die Waffen und die Munition wegschließen müssen.

Jörg K. strebt eine Klage an

Bereits vor einem Jahr war der Vater von Tim K. wegen fahrlässiger Tötung in 15 und fahrlässiger Körperverletzung in 14 Fällen sowie fahrlässigen Überlassens einer Schusswaffe und von Munition verurteilt worden. Wegen eines Formfehlers musste das Verfahren neu aufgerollt werden. Nun folgte fast der gleiche Urteilsspruch. Die strafrechtliche Aufarbeitung scheint damit vorerst abgeschlossen. Doch den Vater erwarten zivilrechtliche Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe. Der Mann selbst strebt eine Klage gegen die Weinsberger Klinik an, der er vorwirft, ihn nicht über eine Gefahr, die von seinem Sohn ausgegangen sei, informiert zu haben.