Auf einer CDU-Konferenz in Wuppertal spürte Kanzlerin Merkel den Unmut der Partei wegen der Flüchtlingsfrage. Von Rebellion gegen sie kann aber nicht die Rede sein.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Wuppertal - Das Wort „Willkommen“ bleibt dem Parteivolk der CDU nicht erspart. Es flimmert in großen Lettern über die Videoleinwand hinter dem Rednerpult. Doch es gilt nur seinesgleichen, nicht den Fremden. „Willkommen zur Zukunftskonferenz“, lautet die Botschaft an etliche hundert Parteimitglieder, die sich hier versammelt haben. Das Ambiente in der historischen Stadthalle von Wuppertal zeugt von besseren Zeiten: Stuck, Blattgold und Pomp wie in einer Oper. Eigentlich hatte sich Angela Merkel vorgenommen, über die „Zukunft der Bürgergesellschaft“ zu reden und die Frage, wie sich Nachhaltigkeit und Lebensqualität bewahren lassen.

 

Solche schönen Überschriften finden sich in den Reformpapieren für den Parteitag im Dezember. Zuvor darf die Basis mitreden. Deshalb ist Merkel nach Wuppertal gereist. Hier ist die erste von vier Regionalkonferenzen, bei denen die Christdemokraten über die Zukunft ihrer Partei nachdenken sollen. Die sah vor einigen Wochen noch rosig aus. Die Umfragewerte schwebten verlässlich über 40 Prozent, als sei das ein Naturgesetz. Aber die Zeiten haben sich geändert. Das Problem, das Merkels Partei gerade umtreibt, steht in Wuppertal nicht auf der Tagesordnung. Es hat in den programmatischen Konzepten bisher keinen Niederschlag gefunden, spiegelt sich allenfalls in einer kurzen Passage, die unter völlig anderen Verhältnissen verfasst worden war. Da ist von der „Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft“ die Rede. Dazu soll ein neues Gesetz ins Auge gefasst werden.

Merkel erinnert an die deutsche Wiedervereinigung

Inzwischen aber sorgen sich viele CDU-Mitglieder, dass die Massen von Einwanderern die Gesellschaft umgestalten könnten. Merkel kommt ohne Umschweife darauf zu sprechen. Sie findet die historische Kulisse passend. Ein Blick zurück in die glorreiche Vergangenheit der Partei sei „gerade in diesen Tagen erleuchtend“. Sie nennt Stichworte, die darauf verweisen, was unter der CDU-Regie geschafft wurde: nicht zuletzt die deutsche Wiedervereinigung. Auch damals habe es sich „als richtig erwiesen, daran zu glauben“. 70 Jahre CDU-Geschichte fasst Merkel so zusammen: „Wir waren gefordert. Wir sind vor der Verantwortung nicht ausgebüxt und haben in vielen Fällen viel erreicht.“ Daran möge sich die Union erinnern angesichts „einer Aufgabe, die wir in diesem Ausmaß noch nicht hatten“.

Das C im Namen der Partei sei „nicht für Sonntagsreden und nicht nur für diejenigen, die in Deutschland leben“. Merkel redet wie am Abend zuvor im Fernsehen. Da trug sie im Zwiegespräch mit der Talkmasterin Anne Will eine Art Regierungserklärung zur Flüchtlingspolitik vor – die unverblümteste ihrer Amtszeit. In der gleichen Tonlage fährt sie in Wuppertal fort. Der syrische Bürgerkrieg „rückt uns ein bisschen ins eigene Land“, sagt Merkel. Sie hat keinen billigen Trost für jene parat, die sich von der Völkerwanderung verunsichert fühlen. Und manche ihrer Sätze klingen gar nicht konservativ: „Es wird nicht wieder so werden wie es war.“ Vor eigenem Publikum redet sie weniger über Willkommenspolitik und mehr über das, was sie „Ordnungssignale“ nennt. Sie wolle die Anarchie der Flüchtlingsströme „in einen gesteuerten Prozess“ überführen. Sie könne aber „kein Stoppschild“ an der Grenze aufstellen und auch nicht sagen, wie viele noch kommen.

Manches sei „chaotisch“, räumt die Kanzlerin ein

Wer in Deutschland Schutz genieße, der müsse sich selbstverständlich an die hiesigen Regeln halten, sagt Merkel. Das müsse man „vom ersten Tag an ganz selbstbewusst sagen“. Wer keines Schutzes bedürfe, der müsse das Land schnellstmöglich wieder verlassen. Da gebe es „eine gewisse Diskrepanz zwischen dem, was wir sagen, und dem, was tatsächlich passiert“, räumt die Kanzlerin ein. Im Augenblick sei „manches chaotisch, das ist leider so“, sagt Merkel, „das müssen wir schnell ordnen“.

Wem das zu vage klingt, dem sagt sie noch: „Wir brauchen den Geist der Zuversicht.“ So zuversichtlich wie die Chefin sind nicht alle im Saal. Der erste Unionist, der sich in der Diskussion zu Wort meldet, sieht wegen des Flüchtlingsansturm „die Rechtsstaatlichkeit in Gefahr“. Er redet wie Horst Seehofer, nur höflicher. Merkel habe „Grenzverletzungen quasi geduldet“, beklagt er. Eine Stadträtin aus Dortmund hat Sorge um die heimische Kultur „bei einem Islam, der immer stärker wird und unseren Werten entgegen steht“. „Das Asylrecht ist nicht alles in unserer Verfassung“, mahnt ein Rentner. Er sorge sich, dass „die Identität des deutschen Volkes bedroht“ sei. Sicher sei nicht jeder Moslem ein Terrorist, sagt der Mann, er wolle aber „kein Stadtbild haben, das durch Kopftücher geprägt ist“.

Aber eine Rebellion gegen Merkel zeichnet sich nicht ab. Zumindest nicht in Nordrhein-Westfalen. Hier ist auch der Landesvorsitzende des Zentralrats der Muslime CDU-Mitglied, und es meldet sich ein CDU-Mann zu Wort, der die Kanzlerin auffordert, Flüchtlinge in die Bundestagskantine einzuladen und auf der Wiese vor dem Reichstag eine Erstaufnahmeeinrichtung zu bauen. So weit geht Merkels Willkommenseuphorie aber nicht. Sie erklärt auch warum: „Dann fragen die Leute: ist die Merkel nun ganz verrückt?“