Im ARD-Talk weist die grüne Außenministerin die Friedensidee des Papstes für die Ukraine zurück. Und sie erklärt ihre undiplomatischen Emotionen.

Dem russischen Präsidenten traut Annalena Baerbock keinen Millimeter über den Weg. Gleich zum Auftakt des Gesprächs mit Caren Miosga in deren Talkrunde am Sonntagabend in der ARD schildert sie auf Miosgas Nachfrage erneut, wie sie bei ihrem sechsten Ukraine-Besuch vor 14 Tagen vor einer herannahenden Drohne in ein gepanzertes Fahrzeug flüchte musste. „Wir waren auf einem offenen Feld, da gab es keinen Bunker.“ Dass dieser Angriff ihr persönlich gegolten habe, das glaube sie nicht, auch ihre persönliche Angst schildert sie nicht, weist lediglich darauf hin: „Dieser Besuch war dann doch mal anders.“

 

Die Angst, die Einschüchterung und das Spalten der westlichen Welt, auf der Russlands Präsident Wladimir Putin so sehr setze, das ist trotzdem Baerbocks großes Thema: „Putin spielt ein perfides Spiel mit der Angst.“ Dass habe ja selbst Kanzlerin Angela Merkel schon erfahren, als Putin mal einen Hund auf sie losgelassen habe – gemeint war ein Vorfall bei Merkels Moskau-Besuch in 2007.

Kritik an Russlands Desinformationskampagnen

Hinzu komme noch Moskaus Diffamierung durch „fake news“, sagt Baerbock. So sei sie früher – als sie noch nicht Außenministerin war – in russischen, aber auch serbischen Medien mit den Behauptungen überzogen worden, sie sei eine Prostituierte und sie wolle als Grünen-Politikerin Haustiere verbieten. Sie habe sich vorgenommen, den Lügen der russischen Seite – etwa vom Außenminister Lawrow, dass Putin verhandeln wolle oder dass die Nato den Krieg begonnen habe – kommunikativ etwas entgegen zu setzen. So sei es auch zu der Szene beim G-20-Gipfel gekommen, wo sie sich direkt an den unweit von ihr sitzenden Lawrow mit dem Appell gewandt hatte, er solle den Ukraine-Krieg beenden. „Er hat weggeschaut.“

Scharfe Worte zu Vorschlag von Papst Franziskus

Beim Wort „Verhandlungen“ musste Moderatorin Miosga natürlich sofort reagieren und nach dem Vorschlag von Papst Franziskus fragen, die Ukraine solle die weiße Fahne hissen und sich für Friedensverhandlungen öffnen. „Ich weiß nicht, was der Papst sich dabei gedacht hat. Ich verstehe es wirklich nicht“, sagte Baerbock. In diesen Zeiten solle man in die Ukraine fahren um zu verstehen, was da passiert. Sie schilderte Angriffe auf einen Kindergarten, Gespräche mit verzweifelten Frauen, „deren Dorf später platt gemacht“ wurde sowie einen ukrainischen Bürgermeister, der die Russen angefleht hatte, eine wieder aufgebaute Trinkwasserleitung nicht wieder zu zerstören – sie hätten es dennoch getan. „Wo ist denn da der Papst“, fragte die Außenministerin.

Sie habe mit einer 16-jährigen in Kiew gesprochen, die nach einer monatelangen Verschleppung durch die Russen direkt aus einer Schule wieder frei kommen konnte: „Dieses Mädchen hat mir gesagt: Bitte, bitte, geben Sie Putin nicht nach!“. Man müsse alles tun, so Baerbock, damit die Ukraine diesen Krieg nicht verliere. Wenn man jetzt nicht Stärke und Geschlossenheit zeige, werde es keinen Frieden geben, weitere Orte werden fallen, die Bombenabwürfe, die Kinderverschleppungen und die Vergewaltigungen von Frauen gingen weiter.

Zerrüttungen in puncto Waffenlieferungen

Mit welchem Waffen aber Deutschland der Ukraine helfen soll – das war auch in der Ampel-Koalition umstritten und Caren Miosga fragte die Ministerin, ob die SPD sich mit ihrem Nein gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern da nicht – vielleicht aus parteitaktischen Gründen – als „Friedenspartei“ in Szene setzen wolle. „Ich werde die SPD nicht kommentieren“, entgegnete Baerbock, das sei ja gerade Putins Wunsch, die Demokraten zu spalten und eine Stimmung zu erzeugen, in der die Unterstützung für die Ukraine bröckele. Was den Taurus anbelange, da sei mit den Briten ja ein „Ringtausch“ – das sei übrigens eine deutsche Erfindung – auch eine Option.

Aber nicht nur auf nationaler, auch auf europäischer Ebene ist die Ukraine-Frage mächtig umstritten, jüngst zwischen Deutschland und Frankreich. Als Baerbock trotzdem zu schildern begann, welch „unglaublich geschlossenes Bild“ die EU in den letzten zwei Jahren bei der Ukraine abgegeben habe, da schnitt ihr Miosga das Wort ab: Frankreichs Präsident Macron mit seinem Gedankenspiel mit Bodentruppen und die Gegenrede von Kanzler Schulz zu diesem Vorschlag zeugten doch von hoher Uneinigkeit: „Ja, es lief schon mal besser“, räumte Baerbock daraufhin ein.

Fehlende Einigkeit Europas?

Dass Außenbild der deutsch-französischen Zerrüttung ist jedenfalls miserabel – wie die beiden geladenen Experten in der Talkrunde, die finnische Politikwissenschaftlerin Minna Allander sowie der Moskauer „Zeit“-Korrespondent Michael Thumann bestätigten. „Wenn Deutschland und Frankreich sogar schon auf Pressekonferenzen gegeneinander Seitenhiebe austeilen, dann bereitet das einem kleinen Land wie Finnland schon Sorge“, sagte Minna Allander, deren Land erst vor knapp einem Jahr Nato-Mitglied geworden ist. Man habe den Eindruck, dass starke europäische Länder wie Großbritannien, Deutschland und Frankreich „führungsunfähig“ seien. Sollte nach den US-Wahlen im November auch auf die USA kein Verlass mehr sein, „dann weckt das bei uns am Ende das Gefühl, dass wir doch wieder alleine sind.“

Michael Thumann meinte, dass ein gemeinsames Handeln der Europäer vielleicht erst nach einem tatsächlichen Wahlsieg von Donald Trump als zwingend erkannt wird: „Möglich, dass wir erst dann in die Pötte kommen.“ Allein wenn Trump öffentlich Zweifel an der Nato äußere, dann könnte das schon das Glaubensbekenntnis dieses westlichen Verteidigungsbündnisses erschüttern. Zur deutschen Politik merkte Thumann kritisch an: „Wir erzählen immer zu viel, was wir machen und was wir nicht machen.“ Putin hingegen verbreite maximale Verunsicherung, er lasse offen, was er mache. Den Weg solle auch Deutschland gehen. Die öffentliche „Ausschließeritis“ – keine Bodentruppen, keine Taurus – sei falsch: „Wir sollten den Putin auch schmoren lassen.“

Undiplomatische Emotionen der Ministerin

Nur am Rande ist die Leitfrage der Sendung – „wie undiplomatisch können Sie sein, Frau Baerbock?“ behandelt worden. Miosga zeigte Videos der Außenministerin in Israel, in der sie eine äußerst emotionale Ansprache hielt und auch ihre beiden Töchter erwähnte. Das sei ungewöhnlich für sie als Chefdiplomatin, so Miosga, dass sie Gefühle und auch Traurigkeit zulasse. Baerbock erklärte, es gebe schon Mittel die Emotionen zu stoppen, eine „Mauer“ um sich zu bauen, und ein Trick sei es, an Autos oder Fußball zu denken.

In einer der besagten Szene aber sei sie mit Entführungsvideos der Hamas konfrontiert worden und vor ihr habe ein weinender Vater gesessen, deren beide Kleinkinder entführt worden waren: „Wer da nicht mitgenommen ist…“ Sie würde es für falsch halten als Mensch, in so einem Fall anders zu reagieren. Das heiße aber nicht, dass sie sich von ihren Gefühlen als Ministerin leiten lasse. Sie repräsentiere ja immerhin 84 Millionen Bundesbürger.