Winfried Kretschmanns Herz schlägt für Europa. Das betont der Ministerpräsident gerne – auch bei seinem jüngsten Besuch in Brüssel. Nun will er der EU auch in Baden-Württemberg zu einem besseren Image verhelfen.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Stuttgart - Es war ganz am Anfang seiner ersten Amtszeit. Der Grüne Winfried Kretschmann war gerade zum Ministerpräsidenten im Südwesten gewählt worden und stattete Brüssel einen Antrittsbesuch ab. Da redete ihm ein Schwarzer ins Gewissen. Es war einer, der es wissen musste, weil er selbst einmal Ministerpräsident war. Günther Oettinger (CDU), inzwischen EU-Kommissar, hatte Kretschmann deutlich gemacht: Wenn er in Brüssel etwas erreichen wolle, dann müsse er Präsenz zeigen, seinen Amtsbonus als Chef einer Landesregierung in die Waagschale werfen. Kretschmann hat den Rat schon in seiner ersten Amtszeit beherzigt.

 

Brüssel liegt ihm am Herzen. Das zeigt er auch jetzt wieder: Nach seiner Wiederwahl im Landtag war er erst bei den direkten Nachbarn – in der Schweiz, in Österreich und Frankreich – um sich unmittelbar danach nach Brüssel aufzumachen. Damit will der Grüne in europapolitisch schweren Zeiten deutlich machen, wie wichtig ihm die EU ist. Er sagt: „Die europäische Integration gehört für uns in Baden-Württemberg zur Staatsräson.“ Das Herz des Landes schlage für die EU.

Wolfs Europakurs kam nicht gut an

Kretschmanns Visite wird dieses Mal umso aufmerksamer beobachtet, da jemand, der mittlerweile an seinem Kabinettstisch sitzt, im Wahlkampf andere Töne Richtung Brüssel angeschlagen hatte: Guido Wolf, damals Kretschmann-Herausforderer der Union, inzwischen sein Minister für Justiz, Tourismus – und eben auch für Europa. Wolf hatte auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise mit Julia Klöckner (CDU) tagesaktuelle Flüchtlingskontingente gefordert. Er war damit der Kanzlerin in den Rücken gefallen, die sich um eine europäische Lösung bemühte.

Das sei Schnee von gestern, wird jetzt in der Landesregierung beteuert. Beim konservativen Wähler kam der Profilierungsversuch von Wolf auf Kosten der Kanzlerin nicht so richtig an. Eher schon die demonstrative Unterstützung Kretschmanns für den Kurs der Kanzlerin. Jetzt sitzen die beiden, deren Haltung zu Brüssel gegensätzlicher kaum sein könnte, in einer Regierung. Eigentlich sollte Wolf jetzt in Brüssel auch mit dabei sein. Er musste jedoch wegen eines Fahrradunfalls kurzfristig absagen.

Ein Dialog im Land soll helfen

Kretschmann geht indes europapolitische in die Offensive: Er kündigt in Brüssel an, die Landesregierung werde im Land einen Konvent für Europa starten. „Wir wollen einen Dialog im öffentlichen Raum starten. Dabei soll es um die Frage gehen, welche Rolle Europa in der Zukunft spielen soll.“ Es solle dabei nicht mehr nur über die Krisen Europas geredet werden, „sondern auch über die Visionen, die wir mit der historisch einzigartigen Einigung des Kontinents in der Zukunft verbinden wollen.“ Kretschmann will dafür die Politik mit Unternehmern, Jugendlichen, Gewerkschaftern und Menschen aus den Grenzregionen ins Gespräch bringen.

Zwei Tage hat sich Kretschmann diesmal Zeit für Brüssel genommen. Ein wichtiges Thema sind für ihn Handelsabkommen. Anders als viele in seiner Partei hat er nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Sympathien für solche Abkommen hat. So verhält er sich auch in Brüssel: Die Debatten um TTIP und Ceta seien ihm zu „holzschnittartig“, kritisiert er. „Wir sind für solche Verträge – allerdings mit Konditionen.“ Auf ein klares „Ja“ zu Ceta will er sich zwar nicht festlegen, doch er mahnt die Gegner: „Es sollte nicht vergessen werden, dass das EU-Parlament Ceta ratifizieren muss. Das unterstreicht die hohe Autorität, die der Entscheidung des EU-Parlamentes zuzugestehen ist.“ Damit will er sagen: Die inhaltlichen Bedenken müssen schon sehr gravierend sein, bevor etwa ein Bundesland in der Länderkammer die Legitimität beanspruchen kann, das ganze Vertragswerk der EU mit Kanada zu kippen.

Späth und Teufel sind seine Vorbilder

Typisch Kretschmann, der gern die wertkonservativen Elemente der Grünen-Agenda betont: Er ist in seiner konkreten Europa-Politik in die Fußstapfen von Lothar Späth und Erwin Teufel (beide CDU) getreten. Darauf weist der Europa-Abgeordnete Reinhard Bütikofer (Grüne) hin. „Späth hatte in seiner Zeit bereits angefangen, die Regionen zusammen zu bringen.“ Kretschmann habe es ihm nachgemacht, indem er in der Klimapolitik über 100 Regionen aus der ganzen Welt zusammen geführt und für den Klimaschutz mobilisiert hat. Von Teufel habe er die Zusammenarbeit mit dem Donau-Raum geerbt, so Bütikofer weiter. Kretschmann pflege besonders die Nähe zu Serbien und Kroatien.