Wie ist der frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel ums Leben gekommen? Der ARD Politthriller fügt Fakten und Fiktion zu einem rasanten Film zusammen.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Barschel, tot in der Badewanne in Zimmer 317 des Genfer Hotels Beau Rivage. Das Foto eines „Stern“-Journalisten vom 11. Oktober 1987 ging um die Welt, seitdem ist es ein in Schwarz-Weiß geronnener nationaler Mythos. Bis heute sind die Todesumstände des zurückgetretenen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel ungeklärt, ranken sich Spekulationen und Verschwörungstheorien um das dramatische Ende dieses Kieler CDU-Aufsteigers mit Kanzlerambitionen.

 

Mord oder Freitod? Ein „Staatskomplott“ gegen Barschel aufgrund seiner Verwicklung in illegale Waffengeschäfte, bei denen neben Deutschland die USA, die DDR, Südafrika, der Iran und alle möglichen Geheimdienste im Spiel waren? Oder die Verzweiflungstat eines Machthungrigen, Getriebenen und Gefallenen, womöglich mit Sterbehilfe? Die Wahrheit ist eine Nebelbank in dieser Polit-Tragödie, die sich mit der „Schubladenaffäre“ um Björn Engholm bis in die Neunziger hineinzog und die Bundesrepublik erschütterte. Und genau das sei, so der Regisseur Kilian Riedhof, der mit Marco Wiersch auch das Drehbuch schrieb, der Grund, weshalb der Skandal bis heute fasziniert – und es in seinen Augen höchste Zeit für eine fiktive TV-Bearbeitung war. Bislang hatte sich lediglich Heinrich Breloer in zwei Dokudramen mit Teilaspekten des Geschehens befasst.

Vom Bild des Toten geht ein dunkler Sog aus

Für seinen dreistündigen Polit-Thriller „Der Fall Barschel“, der durch eine anschließende Dokumentation von der ARD zum Themenabend ausgeweitet wird, wählt der herausragende Filmemacher (das Cybermobbing-Drama „Homevideo“, „Sein letztes Rennen“ mit Dieter Hallervorden) den einzig vertretbaren und klugen Ansatz: Er macht die – vergebliche – Wahrheitssuche selbst zum Thema.

„Von diesem Bild geht ein dunkler Sog aus. Diesem Sog nachzugehen und (…) dem furchtbaren Geheimnis, das diesem Bild innewohnt, nachzuspüren, das war der Grundimpuls unserer Erzählung“, so Riedhof in einem ARD-Interview zum Film. Seinen „Fall Barschel“ erzählen er und Wiersch aus der Perspektive zweier ehrgeiziger, Scoop-hungriger Hamburger Journalisten, die mit ihren Recherchen zum Rücktritt des Spitzenpolitikers – von Matthias Matschke mit beängstigend authentischem Zungenschlag und subtiler Mimikry dargestellt – beitragen und damit nach der berühmten „Ehrenwort“-Pressekonferenz ihr „Waterkantgate“ bekommen.

Authentische Atmosphäre der Achtziger

Doch während der eine, Olaf Nissen (Fabian Hinrichs), vom Selbstmord überzeugt ist und sich vor allem seiner Karriere bei der (fiktiven) „Neuen Hamburger Zeitung“ widmet, lassen die rätselhaften Todesumstände seinen Kollegen und Freund David Burger (Alexander Fehling) nicht mehr los. Er verstrickt sich immer wahnhafter in seine Recherchen und Mord-Hypothesen, opfert beruflichen Aufstieg, Ehe und Familienleben und manövriert sich mit Speed, Schlaflosigkeit und Geliebter in eine paranoide Parallelwelt hinein.

Der Film, der kongenial Dokumentarisches, inszenierte Wahrheit und Fiktion vermischt – und dafür 2015 beim Münchner Filmfest mit dem Bernd Burgemeister Fernsehpreis ausgezeichnet wurde – dauert 180 Minuten, doch die vergehen wie im Flug. Der fiebrig-finstere Wahn des Protagonisten, das Nicht-Greifbare wie das Soghafte des Sujets übersetzt Riedhof in rasant aneinandergeschnittene, oft verwischte, merkwürdig verdrehte Bilder. Ausstattung, Setting und Sound beschwören ein authentisches Bild der Achtziger herauf; und die Schauspieler – von Edgar Selge als Zeitungs-Chef Walter Brauneck über Antje Traue als verführerisch-geheimnisvolle Fotografin mit BND-Nähe und Martin Brambach als moralisches Wrack Reiner Pfeiffer – agieren durch die Bank auf höchstem Niveau. Und natürlich Alexander Fehling, der ein starker, stiller Anti-Held ist, mit undurchdringlich-stoischer Miene maskiert er vielsagend seine inneren Abgründe.

Der Glaube an die Demokratie bröckelt

Die Filmemacher erweitern die Fakten des Politskandals durch eine Fiktion, in der sich die Suche nach der Wahrheit zur Sucht auswächst. Zudem überhöhen sie ihren „Fall Barschel“ zum Sinnbild eines Paradigmenwandels , der sich damals mit den diversen Politaffären – Barschel, Pfeiffer, Engholm – in der Bundesrepublik vollzog. Der Glaube an eine heile Demokratie, an moralische Gewissheiten bröckelte, und die Erkenntnis dämmerte, dass Macht und Erfolg, Fortschritt und Wachstum immer auch ihre Schattenseiten haben.

Und ein weiterer Subtext ist dem Plot eingeschrieben: Der Politthriller ist klar als Mahnmal für die ureigene Aufgabe von Journalismus angelegt. Die aktuellen Bezüge zu den Skandalen um NSA, NSU und BND schwingen mit. „Wahrheit ist unsere Pflicht“ prangt das Berufsethos an der Wand der Hamburger Redaktionsräume. In diesem Punkt sind Riedhof und Wiersch allerdings doch eine Spur zu pädagogisch: Warum das hehre Journalistencredo Burger letztlich in die Selbstzerstörung reißt, leuchten sie psychologisch zu wenig aus.