Der Stuttgarter Fotograf Jürgen Pollak war  Augenzeuge der Anschläge am 11. September - die Bilder von New York im Chaos stellt er jetzt aus.  

Stuttgart - Zehn Jahre danach sitzt Jürgen Pollak in einem Café am Stuttgarter Marienplatz. Kaum eine Wolke trübt den Spätsommerhimmel, der fast so heiter wirkt, wie jener Himmel über New York am 11. September 2001. Jenem Tag, von dem die Amerikaner nun sagen, dass er der dunkelste Tag für ihre Nation gewesen sei. Pollak war einer von vielen Augenzeugen von "Nine Eleven" - der Stuttgarter Fotograf lebte damals in Manhattan. Nun zeigt er seine Fotos erstmals öffentlich in seiner Heimatstadt.

 

Sie führen weg von jenen spektakulären Bildern, die damals die Welt in Atem hielten. Weg von der Dramatik, von den brennenden Türmen des World Trade Centers in Nahaufnahme. Jürgen Pollak, 47, hat fast beiläufige Momentaufnahmen von den Ereignissen eingefangen. Seine Bilder zeigen unter anderem eine Blume am Türgriff eines ausgebrannten Autos. Oder eine Menschenmenge, die sich vor einem Fernseher versammelt hat, den der Besitzer eines Koffergeschäfts auf die Straße gestellt hat. Besonders eindrucksvoll ist jenes Bild, das die bereits brennenden Türme zeigt - und im Vordergrund viele Menschen, die vermeintlich gelassen ihren Weg Richtung Büro oder Supermarkt fortsetzen.

Für die Welt war der 11. September 2001 eine historische Zäsur, für Jürgen Pollak war es damals zunächst nur Tag sechs in einem neuen Leben. Pollak hatte zuvor unter anderem in Paris, Berlin und Wien gelebt. In Österreich hatte er seinerzeit mit einem Freund ein Internet-Start-up-Unternehmen gegründet. "Ich wollte anschließend etwas Neues ausprobieren", erinnert er sich. Pollak beantragte eine Greencard, erhielt den Zuschlag und entschied sich für New York. Eine Freundin wollte als Cashmere-Designerin eine Firma gründen. Pollak sollte als Berater mitmischen.

Pollaks Fotografien - Randnotizen des Schreckens

Am 5. September 2001 zog er in sein Apartment in Manhattan ein - 13. Straße, nördlich des World Trade Centers. Gegen 8.45 Uhr hörte Pollak am 11. September das Dröhnen eines Flugzeugs und wunderte sich, wie tief die Maschine flog. Als kurz darauf die Sirenen der ersten Krankenwagen aufheulten, dachte er: "Es kann doch nicht sein, dass die Maschine in New York abgestürzt ist." Pollak duschte, verließ sein Apartment, um Frühstück einzukaufen und blieb auf der Höhe der 6th Avenue stehen. Von dort aus hatte er freien Blick auf die Zwillingstürme.

Augenblicklich drehte er um, um seine Kamera zu holen. Von diesem Moment an teilte sich das persönliche Erleben Pollaks von der medialen Aufbereitung der Terroranschläge. Während weltweit Sondersendungen liefen, "herrschte in meinem Viertel zunächst eine gewisse Normalität. Die Leute unterhielten sich, viele sagten, dass die Dinge beherrschbar seien." Dies änderte sich mehr als eine Stunde nach dem ersten Einschlag, als der Südturm des World Trade Centers zusammenstürzte.

"Ich überlegte, ob ich mich dem Ort nähern sollte", erzählt Pollak, der sich dann aber entschied, lieber Abstand zu halten. So scheinen seine Fotos vom 11. September eher Randnotizen des Schreckens zu sein: Das mit Fingern in die Staubschicht gemalte Wort "Help" auf einer Autoscheibe. Ein Mann, der seine Partnerin umarmt, beide tragen eine Atemschutzmaske. "Es lag ein metallischer Gestank in der Luft", erinnert sich Jürgen Pollak.

Die Bilder zeigen Hinweise

Er fotografierte auch an den Tagen, die unmittelbar auf die Anschläge folgten. Gerade diese Fotos vermitteln eine Ahnung davon, wie sich der Seelenhaushalt der Vereinigten Staaten verändern würde: Vor einem Bekleidungsgeschäft läuft ein Mann mit der amerikanischen Flagge entlang. An der Fensterfront einer Pizzeria sind die Zettel zu sehen, auf denen Vermisste gesucht werden. Pollaks Bilder zeigen nicht das Epizentrum des Schreckens, aber sie geben einen Hinweis auf die psychischen Verletzungen, die das amerikanische Volk erlitten hat.

"Das Ausmaß dieser Verwundung ist in Europa nicht überall verstanden worden", glaubt Jürgen Pollak, der am 11. September seine Freunde und Angehörigen per E-Mail informierte, dass es ihm gutging. Das Handynetz war zusammengebrochen. Der Tag der Anschläge sei für New York eine Kriegserfahrung gewesen.

Für Jürgen Pollak war er zugleich der Anfang vom Ende seiner Amerikapläne. Rudolph Giuliani, der damalige Bürgermeister von New York, forderte die Menschen nach den Terroranschlägen beschwörend auf: "go shopping!" Doch die Einkaufsmalls blieben nach den Anschlägen leer. "Die Börse ging in die Knie", erinnert sich Pollak, "die Jobsituation in der Stadt wurde immer schlechter". Die Krise vertrug sich auch nicht mit der Idee von den teuren Cashmerepullovern.

Jürgen Pollak verließ New York ein Jahr nach den Terroranschlägen. "Wenn ich ein Flugzeug höre", sagt er und legt den Kopf in den Nacken, "blicke ich immer noch unwillkürlich nach oben."

Von Medien und Metropolen

Biografie Jürgen Pollaks Karriere als Fotograf begann in Paris, wo er zunächst als Assistent arbeitete. Anschließend studierte er visuelle Kommunikation an der Hochschule der Künste in Berlin. Dort und später auch in Wien war er zudem als Koproduzent an mehreren Filmprojekten beteiligt. In Wien gründete Pollak mit einem Freund den ersten deutschsprachigen Internet-TV-Kanal. Anschließend zog er nach New York, bevor er 2002 in seine Geburtsstadt Stuttgart zurückkehrte, wo er seitdem als Fotograf arbeitet. Pollak hat mehrere Bildbände veröffentlicht. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.juergenpollak.de

Ausstellung Pollaks Bilder aus der Reihe Nine Eleven stellt die Fotogalerie f75 am 11. September aus. Die Fotos zeigt Jürgen Pollak erstmals öffentlich - und im Rahmen der Ausstellung nur an diesem Tag von 14 bis 20 Uhr. Die Galerie ist im Stuttgarter Süden beim Marienplatz, Filderstraße75.