Ein 29-Jähriger gibt an, "aus Schwabenhass" einen Kinderwagen angezündet zu haben. Das Feindbild schwelt seit Jahren in Berlin.

Berlin - Die Hoffnung, die Serie von Anschlägen auf Kinderwagen in Berlin sei beendet, hat sich nicht erfüllt. Nachdem ein 29-jähriger Zeitungsausträger aus Berlin-Neukölln wegen Verdachts der Menschen gefährdenden Brandstiftung vor einigen Tagen in Untersuchungshaft genommen worden war, stand jetzt erneut ein Kinderwagen in einem Hausflur in Pankow in Flammen. In diesem jüngsten Fall hatten spanische Gäste eines Hostels in Pankow den Nachtportier alarmiert, der die Flammen im bereits schwarz verrußten Treppenhaus mit dem Feuerlöscher bekämpfen konnte. Der Kinderwagen soll einem in dem Mehrfamilienhaus wohnenden Ehepaar mit kleinen Zwillingen gehört haben. Im selben Gebäude hat auch das Hostel seine Zimmer. Der Täter ist bis jetzt nicht bekannt, die Brandkommission ermittelt.

 

Der festgenommene Zeitungsausträger hat laut Polizei elf Brandanschläge eingeräumt. Er soll seine Taten dem Vernehmen nach mit seinem "Hass auf Schwaben in Prenzlauer Berg" begründet haben, ein Motiv, das die Berliner Polizei weder bestätigt noch dementiert. Auf den 29-jährigen Maik D. waren die Ermittler bereits aufmerksam geworden und hatten ihn am fraglichen Morgen beobachtet, seit er seine Zeitungsstapel zur Verteilung entgegengenommen hatte. Während er zunächst auf seiner Route durch den Kiez in Prenzlauer Berg die Wohnhäuser nach kurzer Zeit wieder verließ, hielt er sich in einem Haus in der Winsstraße verdächtig lange auf. Die Polizisten eilten ihm nach und konnten gemeinsam mit der herbeigerufenen Feuerwehr den Kinderwagenbrand ersticken. Polizeikollegen nahmen den Mann fest und beschlagnahmten bei ihm ein Feuerzeug.

Immer wieder brennen Kinderwagen

Der katastrophalste Fall hatte sich im März dieses Jahres ereignet: Bei einem Brand in einem Hausflur in der Sonnenallee in Berlin-Neukölln starben drei Menschen. Auch dieses Feuer war offenbar durch einen brennenden Kinderwagen ausgelöst worden. Für die Tatnacht soll der festgenommene Zeitungsausträger ein Alibi haben. Eine Mordkommission der Berliner Polizei ermittelt mit zahlreichen Beamten.

Polizei und Feuerwehr raten verängstigten Berlinern, Kinderwagen und auch Papierkörbe nicht in Treppenhäusern abzustellen, insbesondere in Altbauten mit Holztreppen, -geländern oder Täfelungen. Wenn es im Hausflur brenne, sollten die Bewohner in ihren Wohnungen oder auf Balkonen auf Rettung warten.

"Was wollt ihr eigentlich hier?"

Wegen der laufenden Ermittlungen gegen den 29-Jährigen äußert sich die Berliner Polizei nicht zum möglichen Motiv "Schwabenhass". Auf Anfrage bestätigte Polizeisprecher Guido Busch aber, sichtbar sei eine solche Haltung an "Schmierereien auf Hauswänden vor allem in den Szenevierteln Pankow und Prenzlauer Berg, vereinzelt auch in Mitte". Dort tauchen Sprüche auf wie "Schwaben in Prenzlauer Berg - spießig, überwachungswütig und keinen Sinn für Berliner Kultur", oder es wird gefragt "Was wollt ihr eigentlich hier?" und "eine gute Heimfahrt!" gewünscht.

Hintergrund sind seit Jahren anhaltende Klagen und Debatten über die "Gentrifizierung". Gentrifizierung ist ein Begriff aus der Soziologie, mit dem die Umstrukturierung städtischer Viertel beschrieben wird. Der Vorwurf lautet, dass die Luxussanierung ganzer Straßenzüge für gut situierte, in die deutsche Hauptstadt ziehende Neubürger alteingesessene Kiezbewohner verdränge. Der Verdrängung müsse entschieden entgegengewirkt werden, fordert auch Hartmut Häußermann, der sich früher als Professor an der Humboldt-Universität Berlin mit Stadt- und Regionalsoziologie beschäftigte. Der aus Waiblingen stammende Wissenschaftler mahnt, man müsse sich in Berlin ernsthaft Gedanken machen, wie sich preiswerte Wohnungen in größerem Umfang kostengünstig modernisieren lassen, damit sie bezahlbar blieben - ein Ziel, das früher in ausgewiesenen Sanierungsgebieten erreicht worden sei. Die Schwaben hätten manche Berliner sich offenbar als Feindbild ausgeguckt, vermutet Häußermann, weil sie ihre Muttersprache in der Regel nicht verleugnen könnten und schlichte Gemüter Erklärungen suchten, "die leicht verständlich - und meistens auch falsch sind". Wegen der anhaltenden Brandanschläge in Berlin befürchten manche Einwohner schon bald Zustände wie in London.