Die vom Vorstand der Stuttgarter Straßenbahnen gewährten Gehälter für Betriebsräte sollen weit über der Schamgrenze gelegen haben. Der Vorsitzende des Gremiums, ein Busfahrer, verdiente nach eigenen Angaben knapp 100 000 Euro im Jahr.

Stuttgart - „Wir bitten Sie um Zurückhaltung in der Kommunikation mit Kollegen sowie nach außen.“ Sabine Groner-Werber, die neue Arbeitsdirektorin bei den Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) AG, hat nach Bekanntwerden der internen Ermittlung gegen Vorgänger Reinhold Bauer und die Kürzung von Gehältern freigestellter Betriebsräte versucht, dem Vorgang durch einen allgemein formulierten Mitarbeiterbrief die Schärfe zu nehmen.

 

Doch das Ansinnen scheierte, sowohl in der Belegschaft als auch im Rathaus wird heftig über die Entlohnung der ehrenamtlich tätigen Betriebsräte diskutiert. Mit dem Ergebnis, dass die Betroffenen nun ihren Kollegen erklären müssen, warum man ihnen jahrelang teils ein deutlich überhöhte Vergütung gewährte. Auf die Arbeitsbelastung und die Kompetenz bei der Interessenvertretung können sie nicht verweisen: Die Aufgabe des Betriebsrats ist zur Stärkung der Unparteilichkeit als Ehrenamt ausgelegt. Das garantiere „ein Gespür für Gerechtigkeit“, heißt es in einem Gesetzeskommentar, und es sichere die Akzeptanz in der Belegschaft.

Hypothetische Karriereverläufe sollen ausgeschlossen werden

Der Gesetzgeber sieht daher das Entgeltausfallprinzip vor. Der freigestellte Betriebsrat wird so bezahlt, als ob er seine bisherige Arbeitsleistung erbracht hätte. Mit zunehmender Dienstzeit entfernt er sich freilich von seiner ursprünglichen Arbeit und dem Arbeitsplatz und kann sich nicht mehr seiner Karriere im Unternehmen widmen. Eine hypothetische Betrachtung sorgt hier für Abhilfe. Man blickt auf die „normale“ berufliche Entwicklung nicht des Betriebsratsmitglieds, sondern auf die vergleichbarer Arbeitnehmer – und zwar zum Zeitpunkt der Freistellung. Extrem hypothetische Karriereverläufe sollen genau auf diese Weise ausgeschlossen werden.

Der Fall der SSB-Betriebsräte sieht aber anders aus. Offenkundig hat der SSB-Vorstand einige freigestellte Betriebsräte sowie den Vertreter der Schwerbehinderten, Wolfgang Hoepfner, mindestens seit 2008 begünstigt – und zwar nicht nur marginal, wie bisher zu Gunsten der Betroffenen vermutet wurde, sondern teils erheblich. Der Betriebsratsvorsitzende Klaus Felsmann hat nach StZ-Informationen mit seinem Salär gar nicht hinterm Berg gehalten. In seiner Bewerbung für den Posten des Arbeitsdirektors 2015 soll er einen Jahresverdienst von annähernd 100 000 Euro genannt haben. Im Aufsichtsrat wurde nicht nachgefragt, warum ein Busfahrer so viel Geld verdient. In der für diese Berufsgruppe geltenden Entgeltgruppe F erhält man normal zwischen 2676 und 2945 Euro im Monat.

Der Betriebsratsvorsitzende verdiente fast das Dreifache

Die Erklärung: Der seit 2004 an der Spitze des Betriebsrats stehende Felsmann soll in Stufe E 12 eingruppiert worden sein, wo man bis zu 5300 Euro verdient. Die Differenz zum Jahresgehalt setzt sich dann laut Groner-Webers Mitarbeiterbrief aus Pauschalbeträgen und Aufwandsentschädigungen (von rund 2500 Euro monatlich) zusammen. Diese Erstattung gibt das Gesetz laut Arbeitsrechtsexperten nicht her.

Auch Felsmanns Vertreter Thomas Asmus, einst Busfahrer, sowie der Stadtbahnfahrer Wolfgang Hoepfner, die Diplom-Betriebswirtin Gisela de Vries und der Mechaniker Dieter Haferbrack sollen laut einem SSB-Insider zu hoch eingruppiert worden sein. Sonderzahlungen fielen bei ihnen aber geringer aus.

Betriebsräte wollten noch mehr Geld

Die Motive des Vorstands sind weiter unklar. Die zahlreichen Prozesse, die der Betriebsrat gegen die SSB führte, etwa zu den Dienstplänen, sprechen jedenfalls gegen ein gefälliges Begleiten. Nur hinter vorgehaltener Hand wird darauf verwiesen, dass die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat beträchtlichen Einfluss auf die Verlängerung der Verträge der Vorstände hätten. Zuletzt war dem Direktor Jörn Maier-Berberich signalisiert worden, dass ihm die Unterstützung versagt würde.

Sabine Groner-Weber wiederum war durch die Bitte auf weitere Anhebung der Betriebsratsbezüge hellhörig geworden und dann zur Erkenntnis gelangt, ihr von 1995 bis 2015 agierender Vorgänger Reinhold Bauer habe rechtlich nicht einwandfreie Vergütungen gewährt. Daraufhin kürzte sie die Bezüge mit halbjähriger Rückwirkung. So sieht es der Tarifvertrag vor, der Gesetzgeber gestattet laut Experten sogar eine Nachzahlung für vier Jahre.

Die Staatsanwaltschaft beobachtet den Fall

Die Arbeitsdirektorin ist offenbar nicht mit Beträgen konfrontiert worden, über deren Angemessenheit die Parteien noch unterschiedlicher Rechtsauffassung sein könnten. So haben es die Betroffenen auf Nachfrage dargestellt und wegen der Kürzungen mit Klagen gedroht. Sie verwiesen auf doppelten gutachterlichen Rat, der der Vereinbarung zugrunde gelegen habe. Zumindest die vom Vorstand bestellte Expertise soll weniger eindeutig ausgefallen sein, als bisher behauptet wurde.

Der Vorstand prüft, ob noch Klärungsbedarf besteht. Die Staatsanwaltschaft beobachtet den Fall. Betriebsratsbegünstigung ist eine Straftat, es geht aber auch um Untreue und Steuerhinterziehung. Die Betriebsräte könnten belangt werden für Beihilfe zur Untreue; wegen grober Pflichtverletzung wären die Abwahl aus dem Aufsichtsrat, ein Ausschluss aus dem Betriebsrat und sogar eine Kündigung denkbar.