Stuttgarts große Buchhandlung Wittwer hat sich Ärger mit dem rechten Lager eingehandelt. Man führt dort ein Buch der christlich-konservativen Autorin Birgit Kelle nicht im Sortiment. Nun ist im Netz von „Zensur“ und „Bücherverbrennung“ die Rede.

Stuttgart - Droht die nächste landesweite Bücherverbrennung? Und wenn ja, wird sie von professionellen Buchhändlern veranstaltet? Genauer gesagt, vom Stuttgarter Buchhaus Wittwer? Auf Facebook findet man Menschen, die genau davon überzeugt sind. Mit der für Netzdebatten beispielhaften Maßlosigkeit ist da über das Buchkaufhaus mit dem breiten Sortiment und dem Werbeversprechen „Vielfalt erleben“ ein Shitstürmle hereingebrochen. Denn zu den Büchern, die nicht mitnahmebereit im Laden stehen, gehört die Kampfschrift „Muttertier“ der christlich-konservativen Autorin Birgit Kelle. Explosiver noch: Eine Angestellte des Ladens soll die Auskunft gegeben haben, man sei mit „Muttertier“ inhaltlich noch weniger einverstanden als mit dem Vorgängerwerk „Gendergaga“ und verkaufe es deshalb auch nicht.

 

Die in Kempen am Niederrhein lebende Autorin selbst, die sich als Vorkämpferin eines „femininen Feminismus“ sieht und wie einst Eva Herman gegen eine Gesellschaft wettert, die segensreiche klassische Rollen-, Familien- und speziell Frauenbilder demontiere, hat den Vorgang auf ihrer Facebookseite öffentlich gemacht. Verbunden mit der Aufforderung: „Geht doch mal zu Wittwer und bestellt mein Buch. ... Wollen wir doch mal sehen, wieviel Vielfalt im grünen Bundesland der Vielfalt so möglich ist.“

Kelles Leserinnen und Sympathisanten sind dem Aufruf gefolgt – zumindest online. Unter Nutzung der Bewertungsfunktion von Facebook haben Sie den Image-Sterneschnitt von Wittwer herabgedrückt und aus ihrem grundsätzlichen Entsetzen kein Hehl gemacht. Der Ausruf „Das ist Zensur“ stellt noch lange nicht das Extrem der gereizten Alarmstimmung dar.

Nazi- und DDR-Vergleiche

Der eine sieht das „Recht auf Informationsfreiheit“ vor der Abschaffung, ein anderer zieht einen schamlosen historischen Vergleich: „Bücherverbrennung geht heute anders. Schleichender.“ Wer nicht den Nationalsozialismus bemüht, um die Sortimentspolitk einer Buchhandlung einzuordnen, greift zumindest auf das realsozialistische Zensursystem zurück: „Wer gibt Ihnen eigentlich das Recht, sich in einem so freien Land, wie wir es nie in D hatten, so zu verhalten, als ob die DDR zurück gekommen ist?“

Der Nutzer Ecki Ko meint, den psychologischen Mechanismus des Wittwer-Programms durchschaut zu haben: „Das sind übelste Machenschaften von Leuten, die sich progressiv und tolerant geben, aber im Herzen ganz miese Spießer sind.“ Facebook-User Jens Hammen sieht die Wittwer-Einkäufer dagegen eher als Getriebene und Opfer finsterer Bedrohung: „Auch Buchhandlungen und Antiquariate können mitunter dem linken Zeitgeistterror ausgesetzt sein.“

Viel Erfahrung mit Protesten

Birgit Kelle, regelmäßige Meinungsautorin der Tageszeitung „Die Welt“, hat sich von den Geistern, die sie rief, auf Facebook nicht distanziert. Sie bekundet dort: „Ich hab jedenfalls nicht vor, tatenlos mit anzusehen, wenn Buchhändler aus ideologischen Gründen ihren Kunden falsche Auskünfte geben, um zu verhindern, dass ein Buch gekauft wird. Genaugenommen ist das geschäftsschädigend.“ Mit dem Sich-Wehren gegen das vermeintliche Unrecht hat Kelle tatsächlich viel Erfahrung. Sie war in jenen rechten Netzwerken aktiv, die ab 2013 mit der „Demo für alle“-Reihe und forscher Polemik Front machten gegen den neuen baden-württembergischen Bildungsplan, der moderne Familien- und Genderbilder in die Schulen bringen sollte. „Es ist die Rückkehr der Pädophilen, die wir gerade erleben“, befand Birgit Kelle dazu. Eine wichtige Kampfgenossin von Kelle war damals Beatrix von Storch, die mittlerweile als unberechenbarste Extremistin der AfD zu einiger Bekanntheit kam.

Immerhin, manche Facebook-Nutzer finden es gut, dass die Buchhandlung Wittwer Kelles Büchern bislang keinen Regalraum gönnen wollte. Die Facebook-Userin Sabine Sophy bekennt: „Ich liebe Buchhandlungen, die eigene Maßstäbe setzen, eine bewusste Auswahl treffen und einfach ein bisschen Kante zeigen.“ Dementsprechend schade finden es diese Befürworter der Aktion, dass Wittwer nun von einem Missverständnis spricht: „Selbstverständlich bestellen wir das Buch ,Muttertier’ auf Kundenwunsch – in unseren Filialen oder gerne auch online ... Danke, dass Sie Ihren lokalen Buchhändler unterstützen!“

Wittwer-Geschäftsführer Rainer Bartle aber will sich von der „gesteuerten Aktion“, wie er das nennt, nicht von buchhändlerischen Grundsätzen abbringen lassen. „Wir lassen uns letztlich von niemandem instrumentalisieren. Wir halten uns heraus. Wir machen Angebote. Wenn jemand sie annimmt, gut, wenn nicht, auch gut.“ Warum in seinem Haus das Buch von Birgit Kelle trotzdem nicht im Regal zu finden ist, sondern nur bestellt werden kann, erklärt er so: „Kein Buchhändler kann alle lieferbaren Bücher im Laden haben. Jeder muss eine Auswahl treffen. Und dieses Buch ist bei unserer Auswahl eben durchgefallen. Schließlich hat sich schon das vorige Buch von Frau Kelle bei uns nicht gut verkauft.“