Jungwähler sind für Wahlkämpfer eine heikle Zielgruppe. Sie finden Parteien eher langweilig und lassen sich auch im Internet nur schwer für Politik begeistern. Die Wahlbereitschaft ist gering. Doch die politische Orientierung scheint sich zu wandeln.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart/Berlin - Erik Bertram (25) interessiert sich für „Turbulenzen in der interstellaren Materie“ und andere Himmelsphänomene. Darüber hat er seine Examensarbeit geschrieben. Für Politik hingegen interessierte er sich lange Zeit nicht. Weil er aber der Meinung war, das Physikstudium in Heidelberg, sei so gut, dass man ruhig dafür bezahlen könne, wie das früher der Fall war, begann er nachzuforschen, warum die einen Parteien Studiengebühren befürworteten, die anderen sie aber verteufelten. So kam er schließlich zur CDU – ein durchaus ungewöhnlicher Weg für einen Menschen seiner Generation.

 

Die Bundestagswahl, erklärt in einer interaktiven Infografik (zum Vergrößern klicken):

Gleichwohl betont Bertram, der inzwischen sogar im Bundesvorstand der Partei von Angela Merkel sitzt: „Es wird oft gesagt, die heutige Jugend sei unpolitisch – das glaube ich nicht.“ Er beobachte vielmehr eine „Renaissance konservativer Werte wie Familie, Bildung, Stabilität und Leistung“ unter Gleichaltrigen. Katharina Kaluza (23) stimmt Bertram zu, auch wenn sie sonst in den meisten politischen Fragen anderer Ansicht ist und sich den Hinweis nicht verkneifen kann, dass sie Bildung und Familie nicht für exklusiv konservative Angelegenheiten halte. Die Politikstudentin, als Jungsozialistin aktiv, glaubt im Übrigen, dass die meisten jungen Leute sich als „eher links“ verstünden, auch wenn sie dabei nicht unbedingt an Karl Marx dächten. Der Nachwuchsphysiker Bertram wiederum berichtet: „An den Hochschulen herrscht heute ein anderer Geist.“ Ein Großteil der Studenten lege „ein sehr stark leistungsorientiertes Denken an den Tag“.

Parteien haben Schwierigkeiten junge Leute zu begeistern

Über solche Fragen können sich die beiden stundenlang streiten. Aber in einem Punkt machen sie identische Erfahrungen: Für Parteien werde es immer schwerer, junge Leute für ihre Arbeit und ihre Themen zu begeistern. Kaluza erzählt von Gesprächen mit Gleichaltrigen: „Der Ruf von Parteien ist angeschlagen, und das nicht ohne Grund. Viele junge Leute sehen nicht mehr, dass sie Zustände verändern könnten, mit denen sie sich nicht abfinden wollen, indem sie einer Partei beitreten. Sie glauben nicht an einen Konnex zwischen Parteimitgliedschaft und eigenen politischen Handlungsmöglichkeiten.“

Parteien würden als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Junge Menschen engagierten sich eher punktuell, zeitlich befristet und nur dann, wenn sie unmittelbar betroffen sind und der Aufwand überschaubar scheine. „In einer Zeit, in der gerade junge Leute sehr mobil und flexibel sein müssen, ist die gefühlte Verbindlichkeit, die sie mit Parteiarbeit verknüpfen, für viele eher abschreckend“, sagt der Christdemokrat Bertram. „Das ist ein massives Problem für alle Parteien.“

Auch mit modernen Kommunikationsmitteln könnten die Parteien bei der Nachwuchsgeneration nicht landen. „Politik funktioniert im Internet wie sonst auch“, sagt Bertram. „Wer sich nicht dafür interessiert, klickt auch nicht drauf, da können zehn Links angezeigt werden und die Seiten noch so toll sein.“

Entscheidend ist allein die Authentizität

Es sei auch eher schädlich, wenn ältere Politiker versuchten, sich bei Jungwählern durch vermeintlich modernes Auftreten anzubiedern, meint Kaluza. Entscheidend sei allein die Authentizität von Persönlichkeiten. „Willy Brandt hat junge Leute noch und nöcher fasziniert, ohne sie in ihren Klubs zu besuchen“, sagt die Juso-Frau. Ihr CDU-Kollege Bertram erzählt, dass Angela Merkel bei jungen Leuten wie jüngst in einer Berliner Schulklasse einen „Aha-Effekt“ auslöse. Sie hätten von der Bundeskanzlerin den Eindruck: „Die ist ja wie meine Mama.“

Dabei tun sich die Unionsparteien traditionell schwer bei Jungwählern. Das zeigt eine im vergangenen Jahr erschienene Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung. So haben bei der letzten Bundestagswahl im Jahr 2009 nur 26 Prozent der 18- bis 25-jährigen Wähler für CDU und CSU gestimmt, im Schnitt aller Altersklassen lag ihr Ergebnis bei 33,8 Prozent. Auch die SPD ist für den Wählernachwuchs offenbar wenig attraktiv.

„Unter den jüngeren Wählern ist die Wahlbeteiligung traditionell niedriger als unter den älteren“, hat Sabine Pokorny herausgefunden, die Autorin der Jungwähler-Studie. Die Wahlbeteiligung bei Erstwählern (unter 21 Jahren) lag 2009 zwar bei 63 Prozent, die der 21- bis 25-Jährigen aber sogar unter 60 Prozent. Dagegen haben 80 Prozent der Wahlberechtigten zwischen 60 und 70 ihr Kreuz gemacht. Dieser Trend nützt im Endeffekt der CDU: Es gibt doppelt so viele Wähler über 60 als solche unter 30.

Inzwischen scheint sich die Parteienpräferenz bei den Jungwählern aber zu verändern. Das deutet eine unlängst veröffentlichte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa an.

Demnach wollen 41 Prozent der drei Millionen jungen Leute, die am 22. September erstmals abstimmen dürfen, ihre Stimme der CDU geben, 21 Prozent den Grünen und fünf Prozent den Piraten. Die Linke (vier), die FDP (zwei) und die SPD (23) gelten offenbar als weniger hip. Der Nachwuchs mag Merkel mehr.