Es war eine hochkomplexen Materie, mit der man sich in Böblingen und Sindelfingen beschäftigten musste, doch jetzt ist das Konzept für den neuen Busverkehr gebilligt worden. Einige Stadträte stimmten aber nur grummelnd zu.

Sindelfingen - Quasi in letzter Minute haben die Sindelfinger Stadträte am Dienstagabend schließlich grummelnd ihr Okay zur neuen Buskonzeption gegeben – bei fünf Gegenstimmen und drei Enthaltungen. Fünf Stunden lang hatten sie zuvor über die Konzeption diskutiert, die zum Fahrplanwechsel 2019 umgesetzt werden soll. Der 31. Januar war der Stichtag gewesen, zu dem der Landkreis als Träger des Öffentlichen Nahverkehrs eine Entscheidung von den Städten Böblingen und Sindelfingen gefordert hatte.

 

Während die Böblinger die Konzeption längst beschlossen hatten, kam man im Sindelfinger Rathaus nur langsam in die Gänge. Als die Kreisverwaltung Ende vergangenen Jahres dann Druck machte, konfrontierte die Rathausspitze den Gemeinderat mit einer Mammut-Sitzungsrunde. Kurz vor Weihnachten wurde die neue Buskonzeption erstmals in einer Sondersitzung eingebracht. In den vergangenen Wochen beschäftigten sich die Ausschüsse und Ortschaftsräte mit der hochkomplexen Materie. Am Dienstag schließlich segneten die Stadträte um kurz vor 22 Uhr das Ganze ab.

Schneider-Dölker vermisst eine Fahrgastbefragung

Zuvor jedoch übten sie heftige Kritik an der Sindelfinger Rathausspitze. „Ich halte es für unverantwortlich, ein solch komplexes Konzept in einem Monat durchzubringen“, wetterte der Grünen-Chef Hans Grau. „Vor drei Jahren hat der Finanzbürgermeister Herr Gangl das Thema erstmals vorgebracht. Es hätte genügend Zeit gehabt, das alles gemeinsam mit dem Böblinger Gemeinderat zu diskutieren. Doch dies hat man uns verwehrt.“ Leider sei man nicht im Bundestag, bedauerte Grau. „Dann würde ich jetzt einen Untersuchungsausschuss beantragen.“

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Weder der Gemeinderat noch die Bürger seien angemessen an der Entwicklung des Konzepts beteiligt worden, kritisierte der SPD-Fraktionschef Andreas Schneider-Dölker. Er vermisst eine Fahrgastbefragung. Zudem hätten die Städte bei dem Buskonzept nicht zusammengearbeitet. Stattdessen hätten sich die „beiden Rathauschefs gegenseitig mit Sand beworfen. Es besteht der Eindruck, dass es zwei Busliniensysteme sind, die zufällig an der Gemarkungsgrenze aufeinandertreffen.“

Ärger über die Stadt Böblingen

Diese Kritik teilt auch Hermann Pflieger, der Chef des gleichnamigen Busunternehmens, das seit 1950 den Stadtverkehr Böblingen-Sindelfingen betreibt. Er kritisiert, dass die Konzeption die Passagiere im Berufsverkehr schlechter stelle. Vor allem aber sei die Taktverdichtung am Wochenende und in den Abendstunden für ein Unternehmen, das auf eigene Rechnung fährt, nicht zu stemmen. Verärgert ist Pflieger auch über die Stadt Böblingen. „Die hat hinter verschlossenen Türen ein neues Konzept erstellt, ohne die maßgeblich Beteiligten einzubinden.“ Dabei gebe es bereits ein Konzept, das beide Städte 1999 beschlossen, aber nur teilweise umgesetzt hätten. „Damals gab es dazu eine umfangreiche Fahrgastbefragung, dieses Mal nicht“, kritisiert der Busunternehmer.

Er sei nicht in der Lage, für dieses neue Konzept ein Angebot abzugeben, bei dem er den Linienverkehr auf eigene Rechnung betreibe. Ob er bei einem EU-weiten Ausschreibungsverfahren zum Zuge kommen könne, werde sich zeigen.

Jahreskilometer auf 2,3 Millionen Euro kürzen

Genau dies hatte den Sindelfinger Räten am Herzen gelegen. Die Freien Wähler brachten einen Antrag ein, um die geplanten 2,6 Millionen Buskilometer pro Jahr zu reduzieren. Damit, so hofften sie, hätte Pflieger die Chance, sich als eigenwirtschaftlicher Busbetreiber zu bewerben. Eine Reduzierung der Kilometerzahl bedeute aber, „dass wir sämtliche Verbesserungen für Sindelfingen streichen müssten“, sagte die Baubürgermeisterin Corinna Clemens. Daraufhin zogen die Freien Wähler ihren Antrag zurück. Der FDP-Rat Andreas Knapp jedoch bestand auf seinem Antrag. Er wollte die Jahreskilometer auf 2,3 Millionen Euro kürzen, indem neue geplante Linien, zum Beispiel aufs Flugfeld und zum Glaspalast, zunächst wegfallen sollten. „Das spart uns Millionen Euro, weil dann der Busunternehmer das Risiko trägt“, argumentierte Knapp. Diesen Antrag lehnte das Gremium ab.

Erleichtert zeigte sich der Böblinger Landrat Roland Bernhard am Mittwoch: „Ich bin froh, dass wir unseren Zeitplan einhalten können, um die EU-weite Ausschreibung zu schaffen.“

Busse fahren künftig öfter – auch abends und am Wochenende

Veränderungen: Die Linie 701, die vom Sindelfinger Eichholz über die Bahnhöfe bis zur Böblinger Diezenhalde führt, ist die Hauptachse bei der Konzeption. Sie fährt tagsüber wie bisher im 15-Minuten-Takt, abends alle 30 Minuten. Neu ist die Verbesserung des Takts am Sonntag: künftig fährt der Bus alle 30 Minuten. Neu sind auch zusätzliche Linien aufs Flugfeld, ins Sindelfinger Gewerbegebiet Häslach und zum Glasplast. In Böblingen erhält das Wohngebiet Rauher Kapf einen direkten Anschluss.

Kilometer: Im aktuellen Fahrplan sind pro Jahr knapp 2,1 Millionen Kilometer enthalten. Künftig werden es 2,6 Millionen Kilometer sein. Dabei legt Böblingen 325 000 Kilometer zu, Sindelfingen knapp 200 000 Kilometer. Der Landkreis bezahlt das Basisangebot von 1,8 Millionen Kilometern komplett, von der restlichen Leistung die Hälfte.

Zeitplan: Im September veröffentlicht der Kreis eine europaweite Bekanntmachung. Dann können sich Unternehmer melden, die bereit sind, auf eigene Kosten zu fahren. Wenn sich niemand meldet, wird der Betrieb gegen Vergütung ausgeschrieben. Der günstigste Bieter erhält den Zuschlag.