Unity, das neueste Spiel der Assassin’s Creed-Reihe, beeindruckt mit einer besonders lebendigen Atmosphäre. Damit die Kathedrale am Computerbildschirm überzeugen kann, ist viel Liebe zum Detail gefragt. Ubisoft hat hier nun sein Meisterstück abgeliefert.

Stuttgart - Die Stimmung auf den Straßen ist angespannt. Unruhe liegt in der Luft. Überall stehen Menschengruppen zusammen und diskutieren in den Straßen von Paris in den Tagen vor der Französischen Revolution. In „Assassin’s Creed: Unity“ streift der Protagonist Arno Dorian durch die bisher lebendigste und gleichzeitig realste Spielwelt der fünfteiligen Reihe. Ubisofts Geschichtsreihe „Assassin’s Creed“ zieht sich über mehrere Jahrhunderte und erzählt die Geschichte zwischen Templern und Meuchelmördern, den so genannten Assassinen. Eingebettet wird die Geschichte stets in ein historisch verbürgtes Umfeld, bei dem großer Wert auf Genauigkeit gelegt wird. Im alten Rom wurden dafür etwa das Kolosseum sowie die Engelsburg nachgebaut.

 

Im Paris des neuesten Spiels überzeugen Kneipen, Cafés, Kirchen oder Paläste mit ihrer Atmosphäre und Detailtreue. Auf liebevoll nachgebildeten Plätzen versammeln sich erste Aufständler, mancherorts nur wenige, an anderer Stelle tausende, die ihrem Ärger über die Monarchie mit brennenden Puppen, Fahnen und geballten Fäusten Ausdruck verleihen. Damit die Spieler in den Genuss solcher detailreichen Spielumgebungen kommen können, ist im Vorfeld jede Menge Rechercheaufwand und natürlich Programmierkunst erforderlich. Bei „Assassin’s Creed: Unity“ dürfte jedoch vor allem ein Gebäude die Spieler in ihren Bann ziehen – die berühmte Kirche Notre-Dame. Um sie in das Computerspiel zu zaubern, hat die Kanadierin Caroline Miousse zwei Jahre lang an der virtuellen Umsetzung gearbeitet.

Dass das so lange dauerte, kommt nicht von Ungefähr. „Zum einen zählt Notre-Dame zu den bedeutendsten Wahrzeichen von Paris und ist mit ihrer zentralen Lage sehr präsent“, erklärt Miousse. „Die Kirche dient als Orientierungspunkt für den Spieler, der von Ferne die hohen Türme der Kathedrale sehen und somit einschätzen kann, wo er sich gerade befindet.“ Außerdem besitze die Kirche auch für das Spielgeschehen eine zentrale Rolle. Der Spieler werde durch die Geschichte und angenommene Aufträge mit ihr in Berührung gebracht, sowohl von außen als auch im Innenraum.

„Notre-Dame war die erste Sehenswürdigkeit, an der für Assassin’s Creed Unity gearbeitet wurde“, erklärt die 34-Jährige, die seit nunmehr acht Jahren für den Spielproduzenten Ubisoft tätig ist, der die „Assassin’s Creed“-Reihe verantwortet. „Mit diesem Gebäude konnten wir die Möglichkeiten der neuen Konsolen-Generation mit Xbox One und Playstation 4 in Bezug auf Objektgröße und Darstellung von Grafikdetails ausloten, denn wir wollten die Kirche so detailreich wie nur möglich abbilden.“ Miousse weiß, worauf es bei der Digitalisierung so komplexer Gebäude ankommt – ihr beruflicher Werdegang vom Studium der Bildenden Kunst, des Industrie-Designs und schließlich der 2D & 3D-Animation und -Erstellung prädestinierte sie für dieses Projekt.

Historiker haben bei der Recherche geholfen

„Bevor ich mit der eigentlichen Rekonstruktion begonnen habe, habe ich mich etwa einen Monat lang nur mit der Geschichte und Gesamtkonstruktion beschäftigt“, sagt Miousse. „Ich wollte wissen und verstehen, wie die Kathedrale errichtet wurde.“ Dafür habe sie extrem viel recherchiert – in Büchern, in Filmen und im Internet. Zudem seien einige Teammitglieder nach Paris gefahren und hätten eine enorme Anzahl von Fotos erstellt. „Ich habe hauptsächlich mit Blaupausen und Plänen gearbeitet, um die Konstruktion zu erfassen. Doch bei der Recherche haben auch Historiker geholfen. Diese haben uns später auch bei der Arbeit beratend und helfend zur Seite gestanden“, so Miousse.

Danach wurde gemeinsam bestimmt, welches die hervorstechendsten Teile von Notre-Dame sind, welche Formen, welche Details das Bild von Notre-Dame prägen oder inwieweit Details aus verschiedenen Epochen vermischt werden konnten. Erst danach begann die eigentliche Rekonstruktion. Das Gebäude besteht aus der Außen- und der Innenfassade, die jeweils in einzelne Abschnitte unterteilt wurden, welche dann Stück für Stück von Grund auf nachgebaut und anschließend wieder zusammengesetzt wurden – wie ein gigantisches Puzzle. „Es fühlte sich tatsächlich so an, als setze man einen Stein auf den anderen“, erklärt Miousse. Insgesamt bestehe Notre-Dame nun aus sage und schreibe drei Millionen Polygonen, also geometrischen Vielecken.

Für den virtuellen Nachbau eines Gebäudes sind mehrere Schritte notwendig. Am Computer entsteht dafür „Drahtgitter“ aus diesen Vielecken, ähnlich einem Gerüst eines Zirkuszeltes, das noch mit einer Plane bespannt werden muss. In diesem so genannten 3D-Mesh wird die „Plane“, also die Farben und die Strukturen, erst aufgefüllt, wenn alles stimmt. Da jedoch mit verschiedenen Modulen gearbeitet wurde, die dann zu einem großen Ganzen zusammengesetzt wurden, gab es oft ein Problem: „Veränderten wir ein Modul, so waren immer auch gleich andere Stellen betroffen. Wir nannten das den Domino-Effekt“, erklärt Miousse. Und: „Während des ganzen Prozesses muss man immer wieder testen, nachbessern, justieren – das zieht sich durch den ganzen Entstehungsverlauf. Alle Elemente mussten von Grund auf klassisch und in Handwerksarbeit über ein 3D-Computergrafik-Programm erstellt und zusammengefügt werden. Das war anspruchsvoll und zeitintensiv“, so Miousse.

Im Anschluss beginnt das Zuweisen von Bildern auf den kleinen Flächen der Vielecke. Was einfach klingt, ist ebenfalls ein sehr langwieriger Prozess. Unter anderem werden verschiedene Detailstufen definiert, das heißt bei welcher Entfernung zum Gebäude welche Details zu sehen sind. Sofern es an dem Gebäude bewegliche Teile gibt, wird in einem weiteren Schritt definiert, um welche Achse sie sich bewegen können. Zu den letzten Schritten zählen die Ausgestaltung des Kircheninneren mit goldenen Zäunen, Kronleuchtern oder Altarelementen sowie die Abrundung des Projekts durch das Hinzufügen von Licht, welches die Kathedrale mit Leben erfüllt.

Die Größenverhältnisse stimmen genau

Das Ergebnis: „Die Kirche ist sehr nah an der Realität“, betont Miousse. „Wir wollten, dass die Spieler, wenn sie vor oder in diesem Gebäude stehen, sofort erkennen, dass wir hier bei der Umsetzung sehr genau waren und wir viele Wiedererkennungsmomente liefern.“ Das bedeute sogar , dass die Spieler eine digitale Besichtigung vornehmen können. Wichtig sei dafür insbesondere gewesen, dass die Größenverhältnisse stimmen – daher sei die Notre-Dame maßstabsgenau umgesetzt worden.

Einige Abänderungen musste das Entwicklerteam dann aber doch vornehmen – aus urheberrechtlichen Gründen. „Wenn ich mir zum Beispiel die Orgel in Notre-Dame anschaue, dann betrachte ich sie als Meisterstück. Sie ist so riesig und wunderschön – und urheberrechtlich geschützt“, so Miousse. „Wir konnten sie nicht exakt nachbauen, aber immer noch versuchen, genau dieses Gefühl zu erzeugen, wenn man sie sieht. Was das Aussehen betrifft, sind wir sehr nah dran. Nur wenn man wirklich nah herangeht und sie genau analysiert, erkennt man, dass es nicht die Orgel ist, die man heute im Notre Dame sehen würde“, erklärt die Level Designerin.

Der virtuelle Nachbau von Notre-Dame ist in der „Assassin’s Creed“-Historie bisher einzigartig. Die Kirche ist hinsichtlich Größe, Detailtiefe und Zeitinvestment somit das aufwändigste Objekt der Serie. Allerdings ist ein Vergleich mit früheren historischen Gebäuden der Spiele nicht sinnvoll, da die bisherigen Konsolen-Generationen technisch nicht die Detailtiefe und Dimension erlaubten, wie sie heute möglich sind. Auch einen nahtlosen Übergang zwischen Außenwelt und Innenräumen kann der Spieler erst Dank der neuen Konsolengeneration erleben.