Viele Jugendliche verbringen immer mehr Zeit vor dem Rechner, legen Laptops, Handys oder Smartphones kaum mehr aus der Hand. Eltern fragen sich: Ist das schon Sucht? Bei der Antwortsuche können neue Beratungsangebote zur Prävention von übermäßigen Internetkonsum helfen.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Diese Zahlen haben viele Eltern aufgeschreckt: Nach einer kürzlich vorgelegten Studie der Bundesdrogenbeauftragten zur Internetnutzung gelten 2,4 Prozent der 14- bis 24-Jährigen als „süchtig“, bei den 14- bis 16-Jährigen sollen es sogar vier Prozent sein.

 

Spricht man mit den Fachleuten vor Ort, fallen die Aussagen zurückhaltender aus. „Niemand kann sagen, wie viele Problemfälle es gibt“, sagt etwa Bernd Klenk, der bei der Drogenberatungsstelle Release für den Bereich U 21 zuständig ist. Karl Lesehr, der das Referat Sucht- und Drogenhilfe beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg leitet, hält nicht viel davon, in diesem Ausmaß „vorschnell“ von Internetsucht zu sprechen.

Dies bedeutet nicht, dass die Experten das Thema herunterspielen wollen. Denn viele Jugendliche – und nicht nur sie – verbringen immer mehr Zeit vor dem Rechner, legen Laptops, Handys oder Smartphones kaum mehr aus der Hand. Auch wenn man nicht wisse, wie hoch der Leidensdruck in der Gesellschaft aufgrund von Mediensucht tatsächlich sei, sagt Karl Lesehr, „die individuellen Probleme können extrem sein“. Die Beratungsstellen halten auch fest: die Anfragen von Eltern und Schulen nehmen zu, viele Eltern sind verunsichert. „Viele Erwachsenen können mangels eigener Erfahrungen nicht selbst beurteilen, welche Mediennutzung sinnvoll und angemessen ist und wo die sozial-destruktiven Formen beginnen“, erklärt Lesehr.

Probleme zeigen sich oft erst im Erwachsenenalter

Sowohl der Paritätische Wohlfahrtsverband wie auch Release haben neue Informationsangebote entwickelt. Das Thema sei auf Elternabenden „immer wieder aufgeblitzt“, sagt Bernd Klenk von Release, etwa wenn Eltern klagten, ihre Kinder seien „nicht mehr greifbar“. Klenk sieht bei übermäßigem Medienkonsum oft eine Verbindung mit anderen Problemen wie mangelndem Selbstwertgefühl. In diesen Fällen hätten Rollenspiele, die den Jugendlichen „das Gefühl geben, gebraucht zu werden“, einen „hohen Suchtcharakter“. Ein wichtiges Beurteilungskriterium sei, ob Jugendliche wegen ihres Internetkonsums anderes vernachlässigten. Karl Lesehr sieht das Angebot des Wohlfahrtsverbandes vor allem als Anregung, dass Eltern die Aktivitäten ihre Kinder aufmerksamer wahrnehmen und mit diesen „auch die Auseinandersetzung suchen“. Klaus Föll von der Technikerkasse, die das Angebot des Verbandes finanziert, sagt: „Die Eltern sind gefordert.“ Für viele sei es „bequemer, die Kinder vor dem Fernseher oder dem Computer sitzen zu lassen, als mit ihnen raus zu gehen oder zu spielen.“

Vielfach zeigen sich die Probleme erst richtig im Erwachsenenalter. Die 25 Personen, die bei der Evangelischen Gesellschaft (Eva) derzeit beraten werden, sind im Schnitt 26 Jahre alt, zum allergrößten Teil seien es Männer, sagt Dayena Wittlinger, die bei der Eva für das Thema zuständig ist. Oftmals meldeten sich zuerst die Angehörigen, was darauf hindeutet, dass es den Betroffenen vielfach an Problembewusstsein fehlt. Suchtthema Nummer eins seien Online-Rollenspiele, bei Frauen soziale Netzwerke. „Vermehrt spielen auch Online-Pornografie und die Suche nach sexuellen Kontakten eine Rolle“, sagt Wittlinger.