Die Strecke Heimsheim-Friolzheim gehört zu den holprigsten Rumpelfahrbahnen. Daimler lässt sie millimetergenau abgießen - für Testfahrten.

Heimsheim - In irgendeinem Teil der Holzverschalung ist noch der Wurm drin. Adelio Azevedo und Anibal Silva werfen die Stirn in Falten, legen ihr Maßband auf die Brettkanten und machen Bleistiftmarkierungen. Eine Weile ruckeln sie vorsichtig an den groben Fichtenbrettern herum. Dann schaut Azevedo endlich zufrieden auf das Maßband, und sein Kollege hämmert schnell ein paar große Nägel in die Konstruktion - wieder ein Stück geschafft.

 

Das Holzgerüst, das die Betonbauer aus Portugal mit solcher Akribie zusammenbauen, liegt mitten auf der Landesstraße zwischen Heimsheim und Friolzheim (Enzkreis). Diese hat ihre besten Zeiten längst hinter sich. Angesichts ihres jämmerlichen Zustands ist das rot-weiße Schild "Vorsicht Straßenschäden" hinter dem Heimsheimer Ortsausgang eher eine Untertreibung. Nicht ohne Grund hatte die SPD die Straße im Wahlkampf zu den schlechtesten Landesstraßen Baden-Württembergs gezählt. Seitdem sind Monate ins Land gezogen, und die zeitweilige Autobahnumleitung wegen des Ausbaus der A8 hat dem Sträßchen den Rest gegeben.

Holprige Landstraße als Vorlage für weltweite Teststrecken

Was für die Autofahrer im Heckengäu inzwischen ein einziges Ärgernis ist, hat allerdings für Autotester eine Menge Charme. Fahrzeuge, die so etwas überleben, kann man getrost auf alle anderen Straßen loslassen, sagen sie - entsprechend häufig werden zwischen Friolzheim und Heimsheim Testfahrzeuge gesichtet. Die Sindelfinger DaimlerAG steckt auch hinter den ungewöhnlichen Bauarbeiten. Noch bis zum 12.November ist die Landesstraße gesperrt. In dieser Zeit machen die Straßenbauer aus Portugal an vier Teilstücken Betonabgüsse von der Fahrbahnoberfläche. "Eigentlich eine einfache Arbeit, wir müssen nur extrem genau sein", erklärt der Polier Antonio Mota. Schließlich müssen die Männer jede Bodenwelle, jedes Schlagloch, jedes zerbröselte Asphaltstück so genau wie möglich kopieren.

Mit den Abgüssen haben die Stuttgarter Autobauer einiges vor. "Daraus werden in einem Fertigbetonwerk Musterteile gemacht, die dann weltweit als Vorlagen für Daimler-Teststrecken dienen", erklärt der 44-jährige Bauingenieur Thomas Löschke, der die Baustelle überwacht. Bis jetzt sind die Testfahrer des Automobil-Konzerns nämlich meist auf echten Landstraßen unterwegs, um ihre Prototypen auf Herz und Nieren zu prüfen. Doch solche Tests im laufenden Verkehr sind nicht ungefährlich. Außerdem kann dann jeder die geheimen Modelle sehen, und Fotos ihrer "Erlkönige" in Hochglanzmagazinen mögen die Autobauer gar nicht. Darum sagt der Daimler-Sprecher Markus Mainka: "Das Unternehmen hat sich das Ziel gesetzt, die Erprobungsfahrten auf öffentlichen Straßen in den kommenden Jahren zu reduzieren."

Weitere Straßenabdrücke geplant

Statt auf bestehenden Straßen herumzukurven, will sich Daimler diese auf seine Teststrecken holen. Die Strecke bei Heimsheim ist da nur ein Beispiel. Als Nächstes kopieren Thomas Löschke und seine Truppe die Leonberger Straße von Sindelfingen hinauf zur Deponie Dachsklinge. Außerdem stehen noch eine "Plattenstoßstrecke", eine Straße mit Splittauflage sowie mehrere Asphaltpisten in verschiedenen Zustandsformen auf dem Plan. Rund ein Dutzend Straßen liefern auf diese Weise die Vorlage für mehrere Tausend Gussformen. Aus denen puzzeln sich dann die Daimler-Prüfingenieure ihre Teststrecken zusammen - weltweit gleich und stets reproduzierbar, damit auch die darauf erzielten Ergebnisse überall vergleichbar sind.

Bis es so weit ist, haben die Männer auf der Heimsheimer Baustelle noch einiges zu tun. Für vier Teilstücke, 50, 80 und zwei mal 280 Meter lang, müssen sie Trennfolien spannen und darauf die Holzverschalungen fertig machen. In diese füllen sie dann 20 Zentimeter dicken Stahlbeton. Ist er ausgehärtet, können sie die 70, 90 und 120 Zentimeter breiten und 1,60 bis vier Meter langen Abdrücke von der Straße lösen. Die 700 Gussformen aus Heimsheim kommen dann in ein Zwischenlager, ehe sie voraussichtlich im Frühjahr zum ersten Mal nachgebaut werden - im Daimler-Prüfzentrum in Papenburg (Kreis Emsland). Dann wird die Straße zwischen Heimsheim und Friolzheim auch im Prüf- und Technologiezentrum nachgebaut, das Daimler in Immendingen (Kreis Tuttlingen) plant.

Straße bleibt leider wie zuvor

Hoffnungen, die Firma Daimler könnte die marode Straße in Heimsheim nach getaner Arbeit gleich noch sanieren, muss der Ingenieur Thomas Löschke derweil enttäuschen. "Davon ist mir nichts bekannt", sagt er lachend. Von den Arbeiten sollen möglichst keine Spuren zurückbleiben. Auch darum geben sich Adelio Azevedo, Anibal Silva und ihre Kollegen so viel Mühe.

Verkehrte Welt: Buckelpiste wird extra angelegt

Teststrecke: Aus Sicherheitsgründen, aber auch um weniger Aufmerksamkeit zu erregen, rücken alle Fahrzeughersteller von Testfahrten im normalen Straßenverkehr ab. Stattdessen werden vielerorts Teststrecken gebaut oder erweitert. In Baden-Württemberg plant die Daimler AG zurzeit in Immendingen eine solche Strecke. Dort soll die Landesstraße aus Heimsheim mit allen Schäden nachgebaut werden.

Holterdiepolter: Im Wettbewerb "Holterdiepolter" von SPD und Autoclub Europa um die schlechteste Straße hatte die Strecke von Heimsheim nach Friolzheim und Tiefenbronn die Nase vorn.