Präsident Obama zeigt sich erschüttert über den Amoklauf in Newtown, doch vielen Gewaltopfern reicht das nicht mehr.

Newtown,USA - Noch nie haben die Amerikaner ihren Präsidenten derart aufgewühlt erlebt wie nach dem entsetzlichen Blutbad in der Sandy Hook Elementary School. Barack Obama hatte mit den Tränen zu kämpfen, für ein paar Sekunden konnte er nicht weiterreden, als er von den toten Schülern sprach, von Kindern, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten. Die USA hätten solche Tragödien schon zu oft durchmachen müssen, beklagte Obama, nun sei es höchste Zeit für wirkungsvolles Handeln. Wie so oft trifft er in diesen Tagen den richtigen Ton. Am Sonntag flog er nach Newtown, wo für den späten Abend eine Mahnwache geplant war. Ein Präsident, der Würde ausstrahlt – Gravitas, Mitgefühl. Es ändert nichts daran, dass er sich diesmal mit schnell aufgeflackertem Widerspruch auseinanderzusetzen hat, mit der Forderung, Worten Taten folgen zu lassen.

 

Bisher hat es das Weiße Haus tunlichst vermieden, sich mit der National Rifle Association (NRA), der mächtigen Waffenlobby, anzulegen. Doch mit den furchtbaren Bildern aus Newtown könnte die Stimmung kippen: Präsidentensprecher Jay Carney hatte es bereits am Freitag ansatzweise zu spüren bekommen. Allzu gebetsmühlenartig schmetterte er bohrende Reporterfragen mit dem Hinweis ab, dies sei nicht die Stunde, um über Waffengesetze zu diskutieren. „Wann denn sonst?“, entgegnen diesmal die Kritiker, denen allmählich der Geduldsfaden reißt. „Dies ist auf alle Fälle der Tag, um darüber zu reden, dieser Tag ist der Grund, warum wir alle darüber reden“, meldete sich Amardeep Kaleka zu Wort. Kalekas Vater, ein gläubiger Sikh, war im August von einem rassistisch motivierten Täter in einem Tempel in Wisconsin ermordet worden.

Auch Michael Bloomberg, der Bürgermeister New Yorks, einer der konsequentesten Fürsprecher strengerer Auflagen, hielt sich nicht lange bei der Vorrede auf. „All diese Rhetorik, das haben wir schon vorher gehört. Was wir nicht gesehen haben, ist Führungsstärke – weder vom Weißen Haus noch vom Kongress.“ Ins selbe Horn stieß der Astronaut Mark Kelly, dessen Gattin, die Kongressabgeordnete Gabby Giffords, von einem Amokläufer in Arizona lebensgefährlich verletzt wurde und seit 23 Monaten mühsam das Sprechen wiedererlernt. „Diesmal muss unsere Antwort aus mehr bestehen als aus Bedauern, Trauer und Beileidsschreiben.“

Unbestritten sind die Fakten. 47 Prozent aller Haushalte besitzen mindestens eine Handfeuerwaffe. An einem statistischen Durchschnittstag sterben zwischen Miami und Seattle 32 Menschen an Schusswunden. Verglichen mit anderen Industrieländern liegt die Rate von Morden, die mit Gewehren oder Revolvern begangen wurden, 22-mal höher. „Unsere Gesellschaft ist nicht gewalttätiger als andere, aber die Gewalt bei uns ist tödlicher“, fasst es Daniel Webster zusammen, ein Experte für Waffenkontrolle am Johns Hopkins Center for Gun Policy in Baltimore.